Über Gewalt in Polizeigewahrsam

Anlässlich der Gedenkkundgebung des BiPoC-Kollektivs für Oury Jalloh am 7. Januar 2021 wurden wir gebeten einen Redebeitrag zu Gewalt im Knast zu halten. Uns geht es darum weniger einzelne Details aufzuzeigen, sondern einen Fokus auf Gewalt als strukturelles Problem des Knastsystems und seiner Machthierarchien zu legen.
Alle Fotos von Links Unten Göttingen.

Was sich als typisch während der Recherche zu Gewalt im Knast herausgestellt hat, ist die Perspektive der WissenschaftlerInnen. Laut einer Studie des Kriminologischen Dienstes des Freistaates Sachsen aus dem Jahr 2017 werden Angestellte der Knäste ausschließlich als Betroffene körperlicher Gewalt im Knast geführt, nicht jedoch als eigene TäterInnengruppe. Eine weitere Dissertation über Todesfälle im Polizeigewahrsam von 1993 bis 2003 findet 128 offiziell registrierte Tote. Beide wissenschaftlichen Arbeiten weisen darauf hin, dass der Tod von Betroffenen durch eine schnellere Reaktion der SchließerInnen hätte verhindert werden können. Obwohl in 80% der Todesfällen eine unnatürliche Todesursache angegeben wurde, wurde nur bei jedem sechsten Toten ein Rechtsmediziner hinzugezogen, um die Todesursache zu klären. Die Untersuchung ergab, dass vor allem Intoxikationen und Schädel-Hirn-Traumata bei jedem Zweiten zum Tod geführt haben. Abgesehen davon wurde grundlegend ein sehr typisches Fehlverhalten der Bullen bei Ingewahrsamnahmen angegeben: Bei fast der Hälfte der Todesfälle wurde im Nachhinein kritisiert, dass kein Arzt einen Blick auf den noch lebenden Menschen werfen durfte.

Eine weitere empörende Erkenntnis: Dreiviertel aller Todesfälle, die in der Dissertation untersucht wurden, wären vermeidbar gewesen! Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten PolizeibeamtInnen werden sehr selten eingeleitet. Und, Überraschung, nur ein einziges der Ermittlungsverfahren, die hier betrachtet wurden, endete in einer Verurteilung. Dieses eine Verfahren wurde jedoch nicht gegen beteiligte PolizeibeamtInnen geführt, sondern gegen den Arzt der die Gewahrsamstauglichkeit trotz schwerer Kopfverletzungen festgestellt hatte und zu 9000 EUR Geldstrafe verurteilt wurde.

Exemplarisch zeigen die Zahlen und dieses Beispiel dass Polizeigewalt bei Ingewahrsamnahmen nicht ungewöhnlich ist, strafrechtlich nicht ausreichend geahndet wird und betroffene Personen außerordentlich häufig Angehörige marginalisierter Personengruppen sind.

Die nicht-repräsentative Studie aus dem letzten Jahr „Körperverletzung im Amt durch PolizeibeamtInnen“ gibt auch ein paar interessante Details preis, denn nicht mal ein Zehntel aller Körperverletzungen im Amt werden angezeigt. Diese Studie aus dem letzten Jahr ist auch die einzige, die ich gefunden habe, welche Schwarze Menschen und people of colour als spezielle Betroffenengruppe befragt bzw. die Ergebnisse in der Hinsicht ausgewertet hat.

Vor allem für die USA gibt es zwar umfangreiche Forschungen zu polizeilicher rechtswidriger Gewaltanwendung und Ungleichbehandlung gegenüber PoC, insbesondere Schwarzen Menschen. Die Erkenntnisse zeigen eine ganze Bandbreite an rassistischer Diskriminierung: Polizeibeamt*innen kommunizieren bereits weniger respektvoll mit Schwarzen Personen als mit weißen, Schwarze Personen werden häufiger angehalten und kontrolliert und nicht-weiße Personen tragen außerdem ein höheres Risiko von Polizeibeamt*innen getötet zu werden.

Dagegen ist der empirische Forschungsstand für Deutschland in Bezug auf Erfahrungen von Personen mit einem sogenannten Migrationshintergrund und PoC mit der Polizei sehr begrenzt.

Ein Zwischenbericht über „Koerperverletzung im Amt durch PolizeibeamtInnen“ stellt ein sogenanntes Hellfeld dar, wonach ein Viertel aller angezeigten Körperverletzungen im Amt an Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit verübt wurde. Bemerkenswert ist hier, dass der Anteil an Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit in Deutschland jedoch bei nur 12% liegt. Für uns sieht es ganz danach aus, dass die deutsche Justiz und Exekutive unfair verknackt, verurteilt und verhandelt.

Bisher sind es fast ausschließlich zivilgesellschaftliche Gruppen und Initiativen wie bspw. KOP (Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt), die es in mehreren Städten gibt, oder die Initiative „Death In Custody“, welche sich mit rassistischen Fällen von Polizeigewalt und Todesfällen in Gewahrsam beschäftigen.

Die KOP beschreibt eindringlich, dass Diskriminierungserfahrungen durch die Polizei von den Betroffenen als Normalität in Deutschland angesehen werden. Damit ist gemeint, dass die Betroffenen „die diskriminierende Behandlung zwar nicht als gerecht, aber als üblich für deutsche Verhältnisse“ empfinden.

In Duisburg wurden Beamt*innen zu Rassismus befragt. Hier gaben fast alle Bullen, also 92 % an, dass sie nicht-deutsche und deutsche Menschen gleich behandeln würden – dennoch sagten fast die Hälfte aus, dass ihre Kolleg*innen ausländische Personen eher benachteiligen. In einer anderen Befragung bewerteten 86% der Beamt*innen einen geschilderten Fall von rassistischer polizeilicher Gewaltausübung als „sehr schlimm“, dennoch sagten fast ein Viertel, dass ein solcher Fall durchaus vorkommen könne. Explizit rassistisches Handeln wird also abgelehnt, das eigene Handeln wird aber nicht als diskriminierend verstanden – stattdessen wird das Problem eher bei den Anderen, also Kolleg*innen verortet. Ältere Forschung verweist darauf, dass aus polizeilicher Perspektive Übergriffe gegen sogenannte Minderheiten weniger als Ausdruck von Rassismus, sondern „vielmehr […] als Aktionen mit Ventilfunktion“ gesehen werden, die sich generell gegen Menschen mit geringer Beschwerdemacht richten.

Innerhalb von 8 Jahren gab es drei Todesfälle in Dessau im Zusammenhang mit Polizisten der Wache Wolfgangstraße 25, die anderen beiden Toten, Hans-Jürgen Rose und Mario Bichtemann waren ebenfalls gesellschaftlich marginalisierte Menschen mit wenig Möglichkeiten sich zu beschweren oder juristisch zur Wehr zu setzen.

2009 bekam Mouctar Bah für sein Engagement im Zusammenhang mit dem Tod seines Freundes Oury Jalloh die Carl-von-Ossietzky-Medaille verliehen. Gleichzeitig gerät er seines Einsatzes wegen aber auch immer wieder ins Visier von Behörden, Polizei und Neonazis. 2013 wurde er von der Polizei bei einer Gedenkdemo so schwer verletzt, dass er mit einer Gehirnerschütterung vier Tage lang im Krankenhaus lag.

Wir schließen uns der Initiative Oury Jalloh an und fordern Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen. Im Knast, in der Zivilgesellschaft und in der Justiz!

Quellen:

Initiative Oury Jalloh

https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

Initiative KOP „ Kampagne fuer Opfer rassistischer Polizeigewalt“ (bspw. Berlin, aber auch in Kiel und Bremen!)

https://kop-berlin.de/

Studie „Koerperverletzung im Amt durch PolizeibeamtInnen“

https://kviapol.rub.de/images/pdf/KviAPol_Zwischenbericht.pdf?fbclid=IwAR0kkOVH5BWupFVyFSFTIFpZMCCvrEiPFisEIVb-TQcQJv2xqoKyFEc4XqM

https://kviapol.rub.de/images/pdf/KviAPol_Zweiter_Zwischenbericht.pdf

https://kviapol.rub.de/images/pdf/KviAPol_Zwischenbericht.pdf

Studie „Todesfälle im Polizeigewahrsam von 1993 – 2003 in Deutschland“

http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hs/content/titleinfo/1054804