Für eine Gesellschaft ohne Knäste – Silvester zum Knast 2021

Wir waren nachmittags am 31.12.21 mit über 50 Menschen zur jährlichen Soli-Kundgebung am Knast in Rosdorf. Von einer großen Wiese aus konnten wir die Rufe von Gefangenen zumindest aus den oberen Geschossen hören, wir selbst hatten für Musikwünsche und Redebeiträge eine Anlage dabei. Auf einem der Transparente stand unsere Postadresse mit dem Angebot, uns über den Knastalltag zu schreiben. Berichte von Gefangenen stellen wir gibt es weiterhin unter der Rubrik „Nach draußen!“. Zum Abschluss, kurz bevor es zu regnen anfing, konnten wir uns noch mit einem kleinen Feuerwerk verabschieden. Wir dokumentieren hier ein Grußwort von dem Gefangenen Thomas aus einem Knast in Süddeutschland und unseren eigenen Redebeitrag.

Alle Fotos sind von Links Unten Göttingen

Liebe Leute drinnen im Knast und hier draußen,

wir von der Knast-Soligruppe möchten uns den Hoffnungen und Wünschen von Thomas anschließen. Ja, die Idee einer Gesellschaft ohne Knäste ist gedacht – schon lange. Das ist auch unsere Forderung. Doch um welche Taten kann es gehen, wenn wir drinnen und draußen für eben diese Gesellschaft ohne Knäste kämpfen? Zum Glück gibt es auf diese Frage keine einfache Antwort. So kommen wir nicht umhin, dass wir uns austauschen müssen, um Ansätze ringen, uns solidarisch kritisieren, Widersprüche aushalten. Tatsächlich zielt die Frage nach der Überwindung des Knast-Systems grundsätzlich auf die Überwindung von Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung, Konkurrenz, Gewalt, Ausschluss oder anderen Prinzipien unserer herrschaftsförmigen Gesellschaft. Knäste sind die Krönung unseres strafenden, patriarchalen, rassistischen, kapitalistischen Staates. Die Straflogik wird uns von Kindheit an im Kleinen und Großen als alternativlos dargestellt. In der Familie, der Schule, der Ausbildung, dem Militär, den Religionsinstitutionen oder der Lohnarbeit gilt es zu gehorchen – sonst gibt es eine Strafe. Mit den Gesetzen des Staates wird bei Strafe abgesichert, dass ungleiche Verhältnisse bestehen bleiben. So sollen nicht alle Menschen nach ihren Bedürfnissen Zugriff auf unsere gesellschaftlichen Ressourcen haben. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, Lebensmittel und andere nützliche Dinge nehmen, sich überall hin frei bewegen, in eine Wohnung ziehen und sie behalten – alles ist bei Strafe verregelt. Erst recht den Staat aus einer emanzipatorischen Perspektive direkt anzugreifen.

Doch Gesetze sollen auch die persönliche Unversehrtheit schützen. Der Staat übt zwar reichlich Gewalt gegen seine Bürger*innen aus, untereinander ist sie aber verboten. Gewalt im sozialen Miteinander wird bestraft, zumindest im Prinzip. Denn in sozialen Kämpfen musste und muss weiter erstritten werden, dass der Schutz vor zwischenmenschlicher Gewalt tatsächlich für Alle gelten soll. Auch z.B. für Frauen und Kinder, für Lesben und Schwule, für Geflüchtete, für Transpersonen, für Schwarze… – für weniger privilegierte, diskriminierte Menschen. Beim Umgang mit zwischenmenschlicher Gewalt greift die Straflogik des Staates jedoch so oder so zu kurz. Denn durch Strafe und Knast wird ja direkt und mittelbar weitere Gewalt ausgeübt. Dabei verfehlen die staatlichen Ansätze oft, gewaltbetroffene Personen effektiv zu schützen und im sozialen Miteinander nachhaltig zu stärken. Ebenso verfehlen sie systematisch, gewaltausübenden Personen ernsthafte Angebote zur kritischen Auseinandersetzung mit ihren Gewalthandlungen zu machen oder Möglichkeiten zum Kennenlernen sozialer Alternativen und zu Veränderung zu bieten. Das Vorgehen im Rahmen der sogenannte Resozialisierung ist oft nur ein Feigenblatt in der Hand Justiz und  Knastleitung.

Was können wir also tun, wenn wir für eine Gesellschaft ohne Knäste streiten? Ihr drinnen und wir hier draußen können auf die Missstände des Knast-Systems und Repression im Knast-Alltag aufmerksam machen. Da geht es um Öffentlichkeitsarbeit. Die Webseite unserer Knast-Soligruppe ist eine von diesen Möglichkeiten. Hier werden Erfahrungsberichte von euch Gefangenen festgehalten und können von allen gelesen werden. Es kann auch um Widerstand drinnen und draußen gehen. Kollektives Vorgehen gegen Gängelung und Schikane. Aktionen gegen das Justizsystem oder Firmen, die am Knastbetrieb oder Arbeitszwang von euch Gefangenen verdienen. Aktionen gegen jede Ausbeutung, Unterdrückung, gegen jeden Ausschluss und Krieg.

Nicht zuletzt geht es jedoch auch darum, soziale Alternativen zu Strafe und Knast zu entwickeln und zu erproben. Um günstige Bedingungen zu schaffen, kann die Befriedigung von Bedürfnissen und die Verteilung von Ressourcen jenseits von Profit- und Tauschlogik solidarisch organisiert werden. Grundsätzlich kommt es jedoch darauf an, dass ihr drinnen im Knast und wir hier draußen Wege finden, Vereinzelung zu überwinden und verbindliche, handlungsfähige Gemeinschaften aufzubauen und zu schützen. Nur wenn wir die Mitmenschen in unserem Umfeld, ihre Bedürfnisse, Grenzen und vielleicht auch ihre Verletzungen kennen, können wir uns unterstützen, kritisieren und miteinander lernen. Nur wenn wir in der Nachbarschaft oder bei der Arbeit eine solidarische Community sind, können wir Gewalthandlungen und Fehler einzelner Menschen als ein Problem der Gemeinschaft und Gesellschaft begreifen und annehmen. Zwischenmenschliche Gewalt ist immer gesellschaftlich vermittelt. Sie geschieht vor dem Hintergrund eigener biografischer Gewalterfahrungen und sozialer Isolation, sie geschieht in patriarchalen, rassistischen Verhältnissen. Um hier als Gemeinschaft Verantwortung übernehmen zu können, braucht es neue, verlässliche Umgangsformen und Strukturen jenseits des Staates. Zum Glück gibt es schon immer und überall auf der Welt Menschen, die eben dies tun. Die als soziale Gemeinschaft Verantwortung übernehmen, die sich dem Problem von Gewalthandlungen gemeinsam stellen. Die gewaltbetroffene Personen konsequent unterstützen, die gewaltausübenden Personen eine Veränderungsperspektive anbieten, die je nach Anlass die gesellschaftlichen Grundlagen für Gewalt aufspüren und diese angehen. Von diesen Ansätzen können wir lernen.

Wann und wo es mit dem Aufbau und der Verstetigung von solchen Alternativen losgehen kann und wer sich daran beteiligen kann? Diese Antwort ist nun einfach: Jetzt, hier und mit uns allen kann es losgehen, denn worauf sollen wir warten? Dieser Weg ist wohl sehr aufwändig und bestimmt anstrengend, denn er braucht Kontinuität und Geduld. Doch es gibt nicht weniger zu erreichen, als dass wir uns unser soziales, solidarisches Miteinander wieder aneignen und verteidigen, um schließlich die herrschaftsförmige Gesellschaft samt ihrer Ausschlüsse und Knäste zu überwinden. Ob das, wie Thomas in seinen Grußworten vermutet, 50 Jahre, 100 Jahre oder länger dauert, oder mit Entschlossenheit, Anstrengung und glücklichen Entscheidungen auch schneller gelingt, liegt an uns.

Strafe und Knast überflüssig machen!
Freiheit und Glück für uns alle!

Ella – Soli-Filmvorführung an der ehem. JVA

An über 100 Orten wurde am 01.10.21 der Dokufilm „Ella“ gezeigt. Die anonyme Aktivistin wurde im Rahmen der Räumung des Dannenröder Forstes im Herbst 2020 festgenommen und ist bis heute widerrechtlich eingeknastet. Ein Jahr später arbeitet der Film die skandalös-kriminelle Verfolgung und Verurteilung von Ella juristisch detailliert auf und schließt mit der Forderung alle Knäste abzuschaffen.

Den Film online schauen? Solidarisch sein? Aktionen machen? HIER

In Göttingen haben wir den Film an die seit Jahren leerstehende ehem. JVA in der Innenstadt – direkt gegenüber der OM10 – projiziert. Über 70 Menschen haben den Film geschaut. Zuvor hatten Aktivist*innen die Obere-Masch-Straße beidseitig für Autoverkehr gesperrt, um dem Publikum auch gute Sitzplätze auf der Straße anbieten zu können.

Freiheit für Ella! Für eine Gesellschaft ohne Strafe und Knäste!

„Es gibt lebende soziale Kräfte, die sich gegen Willkür, Gewalt und Autoritarismus widersetzen.“ (Dimitris Koufontinas)

Redebeitrag der Knast-Soligruppe Göttingen bei der Kundgebung zum Tag der politischen und sozialen Gefangenen am 18.03.21

[Kontext: Dimitris Koufontinas hat nach 66 Tagen am 14.03.21 seinen Hungerstreik auf einer Intensivstation in Lamia (Griechenland) beendet. Er bezieht sich auf die weltweiten Solidaritätsaktionen: “Was da draußen passiert, ist viel wichtiger als das, wofür es angefangen hat. Angesichts der Macht dieser Kämpfe erkläre ich meinerseits, dass ich mit Herz und Verstand hier und unter euch bin.“]

[Fotos: Links Unten Göttingen]

Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen, liebe Gefangene, die heute nicht hier bei uns sein können,
Als Knast-Soli-Gruppe sind wir mit Gefangenen der JVA Rosdorf und aus anderen Knästen bundesweit in Kontakt. Wir unterstützen sie, wenn sie sich gegen Ausbeutung, Übergriffe und Schikanen im Knast wehren, halten Briefkontakte und veröffentlichen Berichte und Artikel der Gefangenen auf unserem Blog, den Link findet ihr hinten am Stand.

Wer Lust hat uns zu erreichen, oder mitzumachen schreibt uns am besten eine Mail. Wir haben hier am Gänselieselbrunnen auch noch eine kleine Daten- & Faktensammlung aus der Ausstellung „Knastleben“ von Genoss*innen aus Hamburg zum Thema Gefängnis in Deutschland sowie Buchempfehlungen ausgelegt. (1)
Wir möchten heute aber auch nicht selbst viel Raum einnehmen, sondern Betroffene zu Wort kommen lassen.

Darum folgt jetzt die Presseerklärung vom 08.03.2021 von ehemaligen Gefangenen aus der RAF und der Bewegung 2. Juni zum Hungerstreik des griechischen Gefangenen Dimitris Koufontinas.



Freiheit für Dimitris Koufontinas!

Das Gefängnis ist ein Ort der Diktatur. Jeder Hungerstreik, den ein Gefangener führt, ist der Kampf des Subjektes gegen eine Totalität, die ihm nichts weniger als genau diese Subjekthaftigkeit abspricht.

Seit über 50 Tagen ist Dimitris Koufontinas in einem griechischen Gefängnis im Hungerstreik. Dimitris Koufontinas gehörte der bewaffneten Gruppe 17. November an, die in der Folge der griechischen Militärdiktatur 1975 entstanden ist und 25 Jahre existierte. Der Gruppe wurden einige bewaffneten Aktionen vorgeworfen, darunter die Erschießung des CIA-Chefs für Südosteuropa. Weitere Anschläge auf US-Offizielle folgten wegen der Verbindung zwischen Nato-USA und griechischen Putschisten, die jahrelang ein Terrorregime über Griechenland installierten. Andere Anschläge richteten sich gegen griechische Politiker und Journalisten.

Man muß daran erinnern, dass die Aktionen der Gruppe 17 November unmittelbar mit der Tatsache verbunden sind, dass das griechische Militär am 21. April 1967 putschte und bis zu seinem Sturz 1974 ein Klima offener Gewalt über das Land legte. Zu den historischen Tatsachen gehört, dass die US-amerikanische Nixon-Regierung jahrelang eng mit den Diktatoren zusammenarbeitete. Das gleiche Urteil ist gegen das damalige griechische Königshaus wie auch viele der reichen Familien historisch gefällt, die wegen politischen Stimmungsänderungen in den sechziger Jahren um ihre besonderen Privilegien fürchteten und die Putschisten förderten.

Dimitirs Koufontinas hat sich 2002 freiwillig der griechischen Justiz gestellt, um neben anderen, die verhaftet und angeklagt waren, die politische Verantwortung für die Handlungen des 17. November zu übernehmen. Aussagen, die seine Mitangeklagten hätten belasten können, hat er stets verweigert. Seine gesamte Haltung wurde von vielen Linken und Intellektuellen gewürdigt. Dem Gefangenen, der zu mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, wurden seit 2017 Hafterleichterungen gewährt, die ihm rechtlich allerdings bereits Jahre zuvor zugestanden hätten.
Die heutige Regierung in Griechenland macht kaum einen Hehl daraus, dass sie in den sozialen und politischen Kategorien denkt, die mit der Militärdiktatur verbunden waren. Der Präsident der jetzt regierenden Partei Neue Demokratie, Kyriakos Mitsotakis, hat bereits vor seiner Wahl erklärt, dass er die Haftrealität von Dimitris Koufontinas verschärfen werde. Um dieses Unterfangen, hinter der das persönliche Rachebedürfnis einer vom 17. November angegriffenen griechischen Herrschafts-Familien steht, umzusetzen, wurde im Dezember 2020 ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Dahinter verbirgt sich das Verlangen, dass linke politische Gefangene aussagen und öffentlich bereuen müssen. Genau dieses Verlangen erhoben die griechische Diktatoren 1967 gegenüber tausenden von als Kommunisten verdächtigten Gefangenen, die barbarischen Haftbedingungen und ständiger Folter ausgesetzt waren.

Dimitris Koufontinas ist heute 63 Jahre alt. Seit Januar 2021 ist er einer dramatischen Verschlechterung seiner Haftbedingungen ausgesetzt. Inzwischen ist er seit 59 Tagen (7. März 2021) im Hungerstreik. Dimitris Koufontinas kann jeden Augenblick sterben. Er stirbt dann aber nicht, weil er einen bewaffneten Angriff auf die neoliberale Regierung in Griechenland führt, sondern weil er das Verlangen einer regierenden Oberschicht verweigert, ihr zu Füßen zu kriechen. Selbst nach Jahrzehnten ihres Paktes mit einer blutigen Obristendiktatur scheint es diese Oberschicht noch nicht verwunden zu haben, dass auch sie zur Rechenschaft gezogen worden ist.

Es gibt kein Recht auf Unterwerfung der Gesellschaft durch eine reiche Minderheit, die an nichts anderes als an die Erweiterung ihres Reichtums und ihrer Macht denkt. Zu dem niederträchtigen Verhalten gegenüber Dimitris Koufontinas gehören das ebenso niederträchtige Vorgehen gegen Flüchtlinge in Griechenland, gegen Arme und alte Menschen oder jene, die das kapitalistische System einfach nicht mehr braucht.

Wir sind ehemalige Gefangene aus der RAF und der Bewegung 2. Juni. Wir kennen die harte Haltung des Staates und seiner Apparate. Wir kennen Zwangsernährung und exzessive Gewalt der Wächter, wir kennen die »Koma-Lösung«, das zynisch so genannte »Ping-Pong-Spiel«, mit dem man versuchte, uns in einem Zustand zwischen Leben und Tod zu halten in der Hoffnung, dass wir daran zerbrechen. Wir kennen das Spiel, Reue als Bedingung für Freiheiten zu setzen. Dimitirs Koufontinas ist den gleichen Absichten und Handlungen ausgesetzt.
Der Neoliberalismus ist weltweit gescheitert und hinterlässt überall ein desaströses gesellschaftliches Feld. Und gleichzeitig versucht er verstärkt, jeden Gedanken an eine andere Welt, jeden Ansatz von Widerstand gegen sich in der Geschichte auszulöschen.

Nicht wir müssen abschwören, sondern alle, die für diese grauenhaften Verhältnisse verantwortlich sind, die das Leben eines Großteils der Menschheit bestimmen, müssen gehen.
Wir alle sind verpflichtet, auch für das Leben und die Freiheit des politischen Gefangenen Dimitris Koufontinas zu kämpfen.

Knut Folkerts, Christian Klar, Roland Mayer, Karl-Heinz Dellwo, Eva Haule, Monika Berberich (alle: RAF), Ella Rollnik (Bewegung 2. Juni)

Silvesterkundgebung am Knast in Rosdorf

Wir waren gestern, an Silvester, mit über 50 Menschen an der JVA Rosdorf, um den Gefangenen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Als Knast-Soligruppe haben wir wieder unsere Postadresse bekannt gemacht, damit Gefangene uns schreiben und über die Verhältnisse im Knast auf unserem Blog berichten können. Es gab verschiedene Redebeiträge, u.a. von Ende Gelände und zum begonnenen Rondenbarg-G20-Prozess in Hamburg. Wiederholt wurde festgestellt, dass Knäste keine Lösung, sondern Teil des Problems unserer Gesellschaft sind. Es gab auch ein kurzes Gedenken an Alexander Selchow, der in der Silvesternacht vor 30 Jahren von zwei Nazis ganz in der Nähe in Rosdorf ermordet wurde. Auf der Wiese bei der JVA hat ein Künstler seine Eindrücke von der Kundgebung live gezeichnet. Über Lauti haben wir wieder viel Musik gespielt und – soweit es akustisch ging – uns mit Gefangenen zugerufen.

Wir hatten die Kundgebung nicht angemeldet, mit Masken und Abstand aber unser Hygieneschutzkonzept eingehalten. Die Polizei war vor Ort, hat sich nach der Eskalation bei unserer letzten Kundgebung kurz vor Ostern diesmal jedoch aufs Beobachten beschränkt.

Alle Fotos sind von Links Unten Göttingen:

 

Film „GEGEN DEN STROM – Abgetaucht in Venezuela“

Am Sonntag, 25.10. wollen wir, die Knast-Soligruppe Göttingen, jeweils um 14:00 und 18:00 Uhr den Film „Gegen den Strom“ im Saal der OM10 zeigen.

Trailer: https://vimeo.com/391244823

„GEGEN DEN STROM – Abgetaucht in Venezuela“ ist ein Film über ein Land im Umbruch, über die katastrophale Situation in Venezuela und über einen seit 25 Jahren im Untergrund lebenden mutmaßlichen „linksradikalen Terroristen“, seine Flucht vor den deutschen Ermittlungsbehörden und über ein transatlantisches Musikprojekt, bei dem es um zerplatzte wie aufrechterhaltende linke Utopien geht, um Widerstand, politisches Engagement, sowie die Kraft und den Glauben an eine gesellschaftliche Veränderbarkeit durch Musik.

Der Film wird im Saal der OM10 gezeigt, es gibt aber aufgrund der Hygienerichtlinien pro Vorstellung nur Platz für 20 Personen.
Der Einlass ist daher nur mit Tickets möglich, welche ihr ab dem 9.10. kostenlos im Roten Buchladen erhaltet.
Am Abend selbst freuen wir uns jedoch über einen Beitrag in unsere Soligruppenkasse am Saaleingang.

Wir freuen uns auf euch,
Knast-Soligruppe Göttingen

PM: Besuch bei Gefangenen in Zeiten von Corona-Besuchsverboten

Fotos: https://www.flickr.com/photos/linksuntengoe/albums/72157713842334951
Pressemitteilung 11.04.20

Besuch bei den Gefangenen in der JVA Rosdorf in Zeiten des Corona-Besuchsverbots – Polizei missachtet Infektionsschutz

Heute haben wir von der Knast-Soligruppe den Gefangenen der JVA Rosdorf trotz Besuchsverbot einen Besuch abgestattet, indem wir mit Lautsprecheranlage vor die Mauern des Knastes gezogen sind. Gemeinsam mit den Gefangenen fordern wir unter anderem die sofortige Möglichmachung von Besuchen auch während der Corona-Pandemie. Die JVA Rosdorf muss sich dafür einsetzen die wenigen noch bestehenden Freiheiten und Möglichkeit zur sozialen Teilhabe der Gefangenen auch jetzt weiter zu ermöglichen. Als wir zum Ende des Besuches gerade die Wiese verlassen wollten, griff die Polizei ein. Unter Missachtung der derzeit gebotenen Infektionsschutzmaßnahmen stellte die Polizei unsere Personalien fest und riss einzelne Menschen zu Boden.

Die ohnehin schon starke Isolation von Gefangenen wird mit den derzeit geltenden Maßnahmen noch verstärkt. „Wir sind heute vor die JVA Rosdorf gezogen, um die unnötige Isolation wenigstens kurz zu durchbrechen. Wir zeigen den Gefangenen, dass sie auch in Zeiten eines globalen Ausnahmezustandes keineswegs vergessen sind, und ermutigen sie, weiter für ihre Rechte einzustehen.“ so Michaela Kensy.

Allerorts beschweren sich Menschen zurecht über den nun geltenden Freiheitsentzug und die Kontaktbeschränkungen. Expert*innen berichten über psychische Belastungen, die im Zusammenhang mit Isolation entstehen. Für Gefangene jedoch ist dieser Zustand seit Jahren und Jahrzehnten bitterer Alltag. Nun wird ihnen auch noch das letzte bisschen Freiheit geraubt.

Es müssen jetzt unkonventionelle Lösungen für Gefangenenbesuche mit ausreichenden Schutz eingeführt werden. Die Gefangenen selbst haben dafür bereits vielfältige Vorschläge entwickelt. Unter anderem könnten im Hof unter freiem Himmel Besuchsplätze errichtet werden. Die Nichtumsetzung dieser konkreten Vorschläge der Gefangenen sehen wir als reine Gängelung und Schikane.

In der JVA Rosdorf sind neben dem Besuchsverbot auch vollzugsöffnende Maßnahmen, wie etwa kurze Ausgänge, die der Resozialisierung dienen sollen, ausgesetzt. Die Telefonkosten sind in Gefängnissen nach wie vor enorm. Und auch, wenn das Benutzen von Videotelefondiensten, wie etwa Skype, theoretisch möglich sein soll, in der Realität findet dies jedoch nicht statt. Zum einen reichen die Plätze nicht, zum anderen wird ihnen das trotz Beschwerde verwehrt. Die Gefangen fordern: Unbegrenztes und kostenfreies Skypen und Telefonieren für alle!

In vielen Knästen weltweit kam und kommt es zu Aufständen, weil Staaten und Justiz die gesundheitliche Unversehrtheit der Gefangenen missachten oder diese dafür genutzt haben die noch letzten Freiheiten der Gefangenen weiter einzuschränken. Hygienische Maßnahmen werden oft nicht umgesetzt und die Gefangenen häufig sich selbst überlassen. So kam es im Zuge von Besuchsverboten in Kolumbien und Italien zu Aufständen, bei welchen auch Gefangene ums Leben kamen.

In diesen Zeiten zeigt der Staat mal wieder, welche Interessen er schützt und wessen Interessen nur Dreck für ihn sind. Der Notwendige Schutz vor dem SARS-CoV-2 Virus muss für alle Menschen ermöglicht werden. Sei es in den Lagern an den europäischen Außengrenzen oder hierzulande in den Gefängnissen und Massenunterkünften. Dabei darf der Schutz vor dem Virus nicht dazu führen, dass die soziale Isolation der Gefangenen weiter zugespitzt wird. Stattdessen fordern wir gemeinsam mit den Gefangenen: Amnestien und sofortige Entlassungen!

Freiheit für alle Gefangenen! Für eine solidarische Welt ohne Knäste!
Knast-Soligruppe Göttingen

P.S.: Und natürlich haben wir uns während unseres Besuches an einen verantwortungsvollen Umgang mit der aktuellen Situation gehalten. Die Polizei selbst hat die aktuellen Schutzgebote missachtet. Sie haben sich ohne Atemschutzmasken grundlos auf einzelne geworfen, sind uns dabei deutlich zu nahe gekommen und haben damit unsere Gesundheit gefährdet. Ein Polizist rechtfertigte sich mit den Worten: „Ich spucke nie beim Reden!“

Grußworte: Knast-Besuch wegen Corona-Besuchsverbot

Fotos: https://www.flickr.com/photos/linksuntengoe/albums/72157713842334951
Grußworte an die Gefangenen der JVA Rosdorf
Besuch der Gefangenen in Zeiten des Corona-Besuchsverbots

Liebe Menschen in der JVA Rosdorf,
wir sind von der Knast-Soligruppe Göttingen und sind für einen kurzen Besuch bei euch. Aus euren Briefen und aus der Presse haben wir erfahren, dass Willkürhandlungen und Isolation durch das Justizministerium und durch eure Knastleitung in Zeiten der Corona-Pandemie noch weiter zunehmen.

Klar versuchen gerade alle, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen, so dass alle Menschen, die erkranken und eine Behandlung benötigen, diese auch bekommen können. Auch versuchen gerade alle, den Virus möglichst lange oder am besten ganz von sich selbst fern und aus den Institutionen rauszuhalten. Das ist uns allen wichtig und dazu leisten wir alle unsere Beiträge.

Doch ihr weist völlig zurecht auf Ungereimtheiten und Missstände hin.

Am krassesten ist ja wohl, euch eure Besuche gänzlich zu verbieten und vollzugsöffnende Maßnahmen grundsätzlich auszusetzen, die der Teilhabe an Gesellschaft dienen sollen. Denn ein solches Vorgehen bedeutet reine Repression. Ihr wisst genauso gut wie wir, dass Besuche eurer Familien, Freundinnen und Freunde möglich wären – wenn es die Knastleitung nur wollte. Eure Ideen dazu, wie auch jetzt Besuche stattfinden könnten und gleichzeitig eine Übertragung des Corona-Virus verhindert werden könnte, sind vollkommen einleuchtend. So einleuchtend, dass es regelrecht unverschämt ist, dass diese Ideen bisher nicht umgesetzt werden. Einer eurer Vorschläge ist, neben entsprechenden Schutzvorkehrungen wie Handschuhe, Mund-Nasen-Maske und Einsatz von Desinfektionsmitteln den Besuchsraum so auszustatten, dass für verschiedene Gruppen genug Abstand wäre, auch genug Abstand zwischen dem Besuch und euch. Auf diese Weise könnten vielleicht weniger Besuche parallel als bisher stattfinden – was aber viel mehr wäre als gar keine! Eine andere Idee von euch ist, die Besuche im Freien stattfinden zu lassen. Jemand meinte, es sei ausreichend Material und Werkzeug vorhanden, um z.B. Bänke zu bauen, die mit entsprechendem Abstand im Freien aufgebaut werden könnten. Oder ihr könntet auch anderweitig „spucksichere Besuchsplätze“ bauen, mit Einsatz von Plexiglasscheiben. Oder oder oder… Nur die Besuche ganz zu verbieten und seitens der Leitung nicht an kreativen Lösungen zu arbeiten, ist reine Schikane und Gängelung. Gemeinsam mit euch fordern wir: Besuche sofort wieder möglich machen – wie auch immer!

Für die Sicherungsverwahrung heißt es, dass den Menschen, die normalerweise auch draußen einkaufen können, dies aktuell untersagt ist – obwohl Geschäfte her draußen ja offen sind. Genau wie bei den vollzugsöffnenden Maßnahmen ist es letztlich eine Frage der eingesetzten Ressourcen. Entweder es ist genug Personal da, um Ausgänge zu begleiten. Oder aus reiner Schikane eben werden solche Ausgänge abgesagt. Was soll das denn? Wenn zum Umgang mit der Corona-Pandemie Maßnahmen erforderlich sind, die die Verbreitung ausbremsen, dann heißt das doch nicht, dass Gefangene noch mehr als ohnehin in Isolation gebracht werden. Gemeinsam mit euch fordern wir: Außenkontakte und vollzugsöffnende Maßnahmen wieder durchführen!

Dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist offensichtlich. Denn ihr berichtet, die Betriebe im Knast der JVA Rosdorf lassen weiter produzieren. Jeden morgen gehen Menschengruppen bis zu 20 Personen durch die engen Flure zu den Arbeitsstätten, wobei auch nicht auf Abstandsregeln geachtet wird. Dann werden Einmachgläser und Phasenprüfer produziert – für was? Wo doch gerade Atemmasken benötigt werden, wie ihr zu recht schreibt. Es gibt einige Gefangene, die sich an der Produktion von gesellschaftlich benötigter Schutzkleidung beteiligen würden. Allerdings nicht im Rahmen der üblichen Zwangsarbeit zur Profitsteigerung eines Unternehmens, sondern freiwillig, weil es sinnvolle Tätigkeit wäre. Doch warum wird solche Produktion nicht organisiert und für Freiwillige angeboten? „Grußworte: Knast-Besuch wegen Corona-Besuchsverbot“ weiterlesen

Strafe und Gefängnis – Buchvorstellung und Diskussion mit Autor*innen

Dienstag, 10. März 2020, 19 Uhr, OM10, Saal (Obere-Masch-Str. 10)

Veranstaltung mit Rehzi Malzahn (Herausgeber*in) und Freund*innen

Dass wir strafen, erscheint uns als Selbstverständlichkeit. Manchmal erfüllt sie uns mit Unbehagen, aber wirklich in Frage stellen wir sie nicht. Dabei ist Strafe ein wichtiger Bestandteil von Herrschaft. Sie bedarf Institutionen, die sie ermöglichen und ausführen (Gerichte, Gefängnisse, Polizei). Und sie setzt die herrschenden Regeln durch. Auch im Kleinen und im Privaten bedeutet zu strafen, dass sich ein Individuum über ein anderes erhebt, weil es sich (moralisch oder juristisch) „im Recht“ sieht – sei es in der Erziehung oder in Beziehungen. Während einzelne Institutionen für ihr Strafen doch hin und wieder kritisiert werden (wie z.B. Isolationshaft im Gefängnis oder Züchtigung in der Schule ), ist die Kritik der Strafe als solche eine Seltenheit.

Strafe ist eine Fortführung der Gewaltspirale und verhindert ein friedliches Miteinander. Dennoch kamen auch die Revolutionsversuche des 20. Jahrhunderts ohne Strafkritik aus. Vielmehr wurden oft sogar drakonische Strafsysteme praktiziert. So wenig damals versucht wurde, alternative Umgangsweisen zu finden, so wenig wird auch heute darüber diskutiert oder entsprechend ausprobiert.

In antikolonialen Befreiungskämpfen, indigenen Kulturen und marginalisierten Communities finden sich jedoch eine Menge Verfahren der „Unrechtsbewältigung“ oder „Gerechtigkeitsfindung“ jenseits von Strafe. Als „Restorative Justice“ und „Transformative Justice“ werden solche Alternativen heute auch in weißen Mehrheitsgesellschaften diskutiert. Dass sie jedoch nach wie vor nur marginal angewandt werden, liegt u.a. daran, dass diese Ansätze außerhalb der Fachkreise weitgehend unbekannt sind. Auch gibt es abgesehen von vereinzelten Initiativen noch keine gesellschaftliche Bewegung, die einen radikalen Bruch mit Strafe einfordert und praktiziert. Das gilt es zu ändern!

In ihrem Buch „Strafe und Gefängnis“ hat Rehzi Malzahn zahlreiche Autor*innen zusammengebracht, die dieses Feld aus verschiedenen theoretischen und praktischen Perspektiven diskutieren. So gibt es bspw. Beiträge zur Herstellung von „Delinquenzmilieus“, zur Spaltung politische vs. soziale Gefangene, zu intersektionalen Praxen der Strafkritik, zu Utopien einer Gesellschaft ohne Knäste – und nicht zuletzt auch Restorative/Transformative Justice.

Skandalöse therapeutische und medizinische Versorgung in der JVA Rosdorf

Redebeitrag bei der Kundgebung „Silvester zum Knast“ 2019

(Fotos: flickr.com/photos/linksuntengoe/albums/72157712447319242)

In einigen Briefen an die Knast-Soligruppe berichten Gefangene von mangelhaften Zuständen der therapeutischen und medizinischen Versorgung in der JVA Rosdorf. Zwei Punkte finden wir besonders skandalös.

Bei dem ersten Punkt geht es also um psychologisch-therapeutische Angebote. Wir hatten zunächst gefragt: Welche Möglichkeiten und Unterstützung gibt es für Gefangene, um eigene Einstellungen und Handlungsgründe kritisch hinterfragen zu können? Denn genau wie bei uns hier draußen gibt es auch im Knast Menschen, die auf ihre eigene z.B. bisher rassistische oder patriarchale Weltsicht aufmerksam werden. Und die daran etwas ändern wollen, die einen Weg jenseits von Ausgrenzung und Gewalt suchen. Doch das ist, so die Einschätzung von Gefangenen, kaum möglich und letztlich auch nicht vorgesehen. Denn im Knast geht es zunächst nur um Isolation und Strafe. Und später geht es um das daraus resultierende Problem der sogenannten Resozialisierung, das Sich-wieder-in-der-Gesellschaft-zurecht-finden-sollen.

Formal soll zwar der Knastaufenthalt auch der sogenannten Behandlung und Rückfallprävention dienen. Doch was darunter zu verstehen ist, wird einseitig von der Justiz und der Anstaltsleitung festgelegt. Besonders hilfreich für die Gefangenen soll demnach die ausbeuterische Zwangsarbeit sein, zu der sie genötigt werden. Und was passiert sonst, was wird tatsächlich angeboten? Die ernüchternde Einschätzung aus dem Knast: Bei fast allen passiert nichts! Ein Zitat: „Man sitzt einfach vom ersten bis zum letzten Tag ab, ohne dass sich irgendetwas ändert. Die Justiz kann und will nichts tun. Die sind froh über jeden, den sie nicht bemerken. Kein Personal, keine Mittel, gar nichts. Und ob hier jemand seine Einstellungen hinterfragt? Nein, denn es gibt gar keinen Grund dazu. Es gib weder individuelle Angebote, noch bringt es den meisten etwas.“

Ein Gefangener beschreibt, dass auf jeden Fall das System der Zeitstrafen abgeschafft werden muss. Stattdessen wären seiner Einschätzung nach z.B. nach Gewalthandlungen verbindliche, adäquate Therapien sinnvoll. Noch einmal ein Zitat: „Dazu müsste natürlich kräftig investiert werden – personell und materiell. Doch das ist nicht gewollt.“ So gibt es zwar spezielle Therapieeinrichtungen. Allerdings können Gefangene nicht darüber entscheiden, dass sie in eine solche Einrichtung oder Maßnahme gehen können. Und was gibt es sonst in der JVA Rosdorf? Hier sind – Stand März –1,5 Psycholog*innen für ca. 160 Gefangene zuständig. Diejenigen, die sich solche Gespräche wünschen, bekommen einen Termin vielleicht alle drei oder vier Wochen. Und bis ein Vollzugsplan erstellt ist – allein das kann ein halbes Jahr dauern – , passiert sowieso erst einmal nichts. Auch bei uns hier draußen ist es mit der Gesundheitsversorgung in Bereichen schlecht bestellt: Es gibt eine Zweiklassenmedizin, Personalmangel in den Krankenhäusern, teils lange Wartezeiten usw. Doch wir hier draußen können uns immerhin für eine intensive Psychotherapie entscheiden, können uns eine Therapeut*in aussuchen. Wir müssen feststellen: Es ist politischer Wille, dass in den Knästen die Versorgung mit individuellen bis hin zu therapeutische Angeboten mies und ungenügend ist. Dass dann regelmäßig noch nicht mal alle Stellen nicht besetzt sind, kommt noch obendrauf. Das Fazit eines Gefangenen: „Wer sich nicht darum prügelt, irgendwas zu tun, um sein Verhalten zu ändern, der sitzt ab bis zum letzten Tag. Ohne dass er auch nur eine Stunde über irgendwas reflektiert zu haben braucht.“

Der zweite skandalöse Punkt ist die strukturell mangelhafte medizinische Versorgung. Wer in der JVA Rosdorf zu Ärzt*innen will, muss das morgens um 6 Uhr beim Stationsbeamten melden. Um 8 Uhr werden dann die – oftmals 15-20 – Gefangenen in einen Warteraum gesperrt. Von da aus werden sie nach und nach aufgerufen. Eine freie Arztwahl gibt es nicht. Den direkten Zugang zu Fachärzt*innen gibt es nicht. Die Schweigepflicht der Knastärzt*innen ist eingeschränkt. Außerhalb der Sprechstundenzeiten an Werktagen gibt es zwar Bereitschaft von medizinischem Fachpersonal, aber die Qualifikationen sind unterschiedlich. Im Krankheitsfall, aber auch im Notfall im jeweiligen Trakt müssen so oftmals Stationsbeamt*innen mit Erste-Hilfe-Kurs-Kenntnissen entscheiden, wie weiter verfahren wird. Wenn Ärzt*innen in der JVA Rosdorf arbeiten, tun sie das als Knastärzt*innen. In der Regel sind die gleichen Ärzt*innen hier draußen noch anderweitig tätig, z.B. haben sie eine eigene Praxis. Immer wieder kommt es in der JVA Rosdorf vor, dass Ärzt*innen das ohnehin vorhandene Machtgefälle im Knast noch weiter ausnutzen. Einige stellen sich ihren Patienten noch nicht einmal namentlich vor und machen auch nicht transparent, was sie für eine Qualifikation haben.
Manchmal sei die Ansprache durch die Knastärzt*innen auch schlicht herablassend. Ein Gefangener schreibt uns: „Es bleibt fraglich, inwieweit das medizinische Personal sich dem Wohl des Patienten verpflichtet fühlt oder nur zum Durchsetzen der Belange der Justiz da ist.“
Um welche Belange der Justiz geht es? Ein Anliegen des Knastsystems ist es, die Kosten und damit auch den Personaleinsatz gering zu halten. So versuchen Knastärzte, notwendige medizinische Behandlungen soweit nach hinten zu schieben, bis eine Behandlung erst nach der Entlassung, also draußen, begonnen wird. Anfallende Zahnbehandlungen sind für dieses Hinauszögern ein Beispiel. Ein anderes Anliegen der Justiz ist z.B., dass die Gefangenen der Zwangsarbeit nachgehen, nicht zuletzt sind mit den Firmen Verträge geschlossen.

Wiederholt haben wir von Fällen gehört, dass die Knastärzt*innen kranke Patienten um jeden Preis zur Arbeit schicken wollen. Auf diese Weise kommt es offenbar immer wieder zu Fehl- oder auch Nicht-Behandlungen. Tatsächlich untersteht eine Ärzt*in der Zeit, in der sie als Knastärzt*in arbeitet, dem Justizministerium – und ist nicht wie üblich dem Gesundheitsministerium zugeordnet. Da es im Knast keine freie Arztwahl gibt, keine naheliegende Möglichkeit, eine medizinische Zweitmeinung einzuholen, und keine medizinische Beschwerdestelle, bleibt den Gefangenen nur die Möglichkeit, die JVA oder den Knastarzt anzuzeigen. Doch für eine Anzeige braucht es einen Straftatbestand, z.B. Körperverletzung im Amt. Solche juristische Verfahren ziehen sich bekanntlich in die Länge und bringen in der Regel nicht die gebotene akute gesundheitliche Klärung. Bis dahin werden vielleicht eben keine notwendigen Schmerzmittel verordnet. Oder es werden nur Schmerzmittel verordnet, obwohl eine Behandlung erforderlich wäre. Oder ein Nicht-Erscheinen bei der Arbeit aufgrund von Krankheit wird mit einer Woche Einschluss oder Fernsehentzug bestraft.

Eine wirksame Möglichkeit, die Macht der Knast-Ärzt*innen zu brechen, wäre eine freie Therapeut*innen- und freie Ärzt*innenwahl. Doch es wird noch lange dauern, dieses Recht allgemeingültig durchzusetzen. Bis dahin können Gefangene sich nur juristisch wehren und angemessene psychotherapeutische und medizinische Behandlung in jedem Einzelfall per Gerichtsbeschluss einfordern. Das ist sehr anstrengend und kostet Zeit. Vor allem aber ist der Beschwerdeweg über Gerichte voller Voraussetzungen. Menschen mit kaum oder keinen Deutschkenntnissen oder Schwierigkeiten im Umgang mit Behördenkram stehen dann nochmal schlechter da.

Knäste schädigen die physische und psychische Gesundheit der Gefangenen. Auch wenn es noch ein weiter Weg hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft ist und auch wenn Alternativen zu Strafe und Gefängnis als gesellschaftliche Aufgabe noch gefunden und erprobt werden müssen:

Das Knastsystem ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Knäste abschaffen!

Kundgebung Silvester zum Knast 2019 – Begrüßung

(Fotos: flickr.com/photos/linksuntengoe/albums/72157712447319242)

Wir begrüßen euch drinnen und euch hier draußen zu unserer Silvesterkundgebung 2019. Wir freuen uns, dass ihr an den Fenstern seid und dass so viele Menschen aus Göttingen heute Nachmittag mit hierher zur JVA Rosdorf gekommen sind.

Wir finden: Die Institution Gefängnis ist grundsätzlich menschenfeindlich. Knäste stehen für Strafe, soziale Isolation, physische und psychische Belastungen, Macht und Kontrolle. Sie stehen für die Fortsetzung von Gewalt und mit der Zwangsarbeit auch für zugespitzte Ausbeutung. Knäste festigen die Position von Eliten. Knäste bedrohen und bestrafen Menschen, die mit sozialen Problemen wie Armut, existenzieller Angst oder Ausgeschlossen-Sein leben müssen und sich dagegen wehren. Tatsächlich gibt es in den letzten Jahren immer mehr Menschen, die in der JVA-Rosdorf wegen Freiheitsstrafen von unter einem Jahr gefangen gehalten werden. Viele von ihnen sind wegen Drogendelikten oder Diebstählen verurteilt. Manche Gefangene können schlicht ihre Geldstrafe nicht bezahlen und sitzen stattdessen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab.

Strafe und Gefängnisse stehen dem Ziel einer emanzipatorischen Gesellschaft entgegen. Sie gehören abgeschafft. Die Taten einzelner Gefangener legitimieren wir damit nicht. Aber wir solidarisieren uns mit denjenigen Gefangenen, die mit uns gemeinsam auf der Suche nach einem guten Leben für Alle sind!

Ihr drinnen wisst es: Im Knast herrscht durch Justiz und Anstaltsleitung ein System von Fremdkontrolle, Willkür und Vereinzelung. Die naheliegenden Wege für euch, sich zu wehren, sind daher zunächst individuell: Einige von euch schreiben formale Beschwerden oder Anzeigen direkt an das Gericht. Doch falls ihr auf diese Weise Zugeständnisse erringt, kommen diese euren Mitgefangenen in der Regel nicht zu Gute. Denn die Gerichte verzichten gerne auf Urteile und treffen mit der Knastleitung unterhalb der Rechtsprechung nur individuell gültige Absprachen. Einige von euch wehren sich auch durch Verweigerungen: Verweigerung der Arbeit, Verweigerung des Arztbesuchs, Verweigerung Deals anzunehmen. Und klar findet im Knast auch gegenseitige Unterstützung statt: Z.B. beim Verfassen von Anträgen und Beschwerden oder einfach beim Teilen von Kleinigkeiten, die den Alltag erleichtern. Vor ein paar Jahren gab es auch einen gemeinschaftlichen Hungerstreik.
Grundsätzlich ist es bei euch drinnen genauso wie bei uns hier draußen: Wenn wir die Vereinzelung durchbrechen und uns zusammentun, sind wir Viele und können mehr für uns Alle erreichen!

Nun noch ein paar kurze Sätze zu uns, der Knast-Soligruppe: Seit der Silvesterkundgebung vor einem Jahr haben uns erfreulich viele von euch Gefangenen geschrieben. Mit den meisten sind wir noch im Briefkontakt. Auch zum 1. Mai haben wir uns hier zu einer Kundgebung getroffen und insbesondere die Zwangsarbeit im Knast kritisiert. Wie angekündigt haben wir im Internet einen Blog eingerichtet. Dort sind unter der Rubrik „Nach draußen!“ bereits etliche Beiträge von euch Gefangenen. Wenn ihr uns schreibt, werden wir auf jeden Fall weiter auf unserem Blog über die Zustände im Knast und eure Auseinandersetzungen mit dem Knastsystem berichten. Wir haben auch angefangen uns mit der Frage zu beschäftigen, wie eine Gesellschaft ohne Knäste aussehen könnte. Mit einzelnen von euch sind wir dazu im Austausch. Klar, das Projekt Gesellschaft ohne Knäste kann wird nur gelingen, wenn z.B. auch das Patriarchat überwunden wird und Ausgrenzung und Ausbeutung beendet werden. Doch welche gesellschaftlichen Alternativen zu Strafe könnte es für einen verantwortungsvollen Umgang im Falle von Gewalthandlungen geben? Wie können Betroffene nach erfahrener Gewalt geschützt und gestärkt werden? Wie müssten Angebote für Täter*innen aussehen, damit sie innerhalb eines solchen Rahmens Unterstützung für eine Lebensführung ohne Gewalt erhalten können? Wir haben auf diese und andere Fragen noch keine zufriedenstellenden Antworten. Denn letztlich müssen die Antworten in gemeinsamer emanzipatorischer Praxis und sozialen Kämpfen gefunden und umgesetzt werden. Wir wollen und werden dabei sein!

Für eine Gesellschaft ohne Knäste!