Kundgebung Silvester zum Knast 2019 – Begrüßung

(Fotos: flickr.com/photos/linksuntengoe/albums/72157712447319242)

Wir begrüßen euch drinnen und euch hier draußen zu unserer Silvesterkundgebung 2019. Wir freuen uns, dass ihr an den Fenstern seid und dass so viele Menschen aus Göttingen heute Nachmittag mit hierher zur JVA Rosdorf gekommen sind.

Wir finden: Die Institution Gefängnis ist grundsätzlich menschenfeindlich. Knäste stehen für Strafe, soziale Isolation, physische und psychische Belastungen, Macht und Kontrolle. Sie stehen für die Fortsetzung von Gewalt und mit der Zwangsarbeit auch für zugespitzte Ausbeutung. Knäste festigen die Position von Eliten. Knäste bedrohen und bestrafen Menschen, die mit sozialen Problemen wie Armut, existenzieller Angst oder Ausgeschlossen-Sein leben müssen und sich dagegen wehren. Tatsächlich gibt es in den letzten Jahren immer mehr Menschen, die in der JVA-Rosdorf wegen Freiheitsstrafen von unter einem Jahr gefangen gehalten werden. Viele von ihnen sind wegen Drogendelikten oder Diebstählen verurteilt. Manche Gefangene können schlicht ihre Geldstrafe nicht bezahlen und sitzen stattdessen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab.

Strafe und Gefängnisse stehen dem Ziel einer emanzipatorischen Gesellschaft entgegen. Sie gehören abgeschafft. Die Taten einzelner Gefangener legitimieren wir damit nicht. Aber wir solidarisieren uns mit denjenigen Gefangenen, die mit uns gemeinsam auf der Suche nach einem guten Leben für Alle sind!

Ihr drinnen wisst es: Im Knast herrscht durch Justiz und Anstaltsleitung ein System von Fremdkontrolle, Willkür und Vereinzelung. Die naheliegenden Wege für euch, sich zu wehren, sind daher zunächst individuell: Einige von euch schreiben formale Beschwerden oder Anzeigen direkt an das Gericht. Doch falls ihr auf diese Weise Zugeständnisse erringt, kommen diese euren Mitgefangenen in der Regel nicht zu Gute. Denn die Gerichte verzichten gerne auf Urteile und treffen mit der Knastleitung unterhalb der Rechtsprechung nur individuell gültige Absprachen. Einige von euch wehren sich auch durch Verweigerungen: Verweigerung der Arbeit, Verweigerung des Arztbesuchs, Verweigerung Deals anzunehmen. Und klar findet im Knast auch gegenseitige Unterstützung statt: Z.B. beim Verfassen von Anträgen und Beschwerden oder einfach beim Teilen von Kleinigkeiten, die den Alltag erleichtern. Vor ein paar Jahren gab es auch einen gemeinschaftlichen Hungerstreik.
Grundsätzlich ist es bei euch drinnen genauso wie bei uns hier draußen: Wenn wir die Vereinzelung durchbrechen und uns zusammentun, sind wir Viele und können mehr für uns Alle erreichen!

Nun noch ein paar kurze Sätze zu uns, der Knast-Soligruppe: Seit der Silvesterkundgebung vor einem Jahr haben uns erfreulich viele von euch Gefangenen geschrieben. Mit den meisten sind wir noch im Briefkontakt. Auch zum 1. Mai haben wir uns hier zu einer Kundgebung getroffen und insbesondere die Zwangsarbeit im Knast kritisiert. Wie angekündigt haben wir im Internet einen Blog eingerichtet. Dort sind unter der Rubrik „Nach draußen!“ bereits etliche Beiträge von euch Gefangenen. Wenn ihr uns schreibt, werden wir auf jeden Fall weiter auf unserem Blog über die Zustände im Knast und eure Auseinandersetzungen mit dem Knastsystem berichten. Wir haben auch angefangen uns mit der Frage zu beschäftigen, wie eine Gesellschaft ohne Knäste aussehen könnte. Mit einzelnen von euch sind wir dazu im Austausch. Klar, das Projekt Gesellschaft ohne Knäste kann wird nur gelingen, wenn z.B. auch das Patriarchat überwunden wird und Ausgrenzung und Ausbeutung beendet werden. Doch welche gesellschaftlichen Alternativen zu Strafe könnte es für einen verantwortungsvollen Umgang im Falle von Gewalthandlungen geben? Wie können Betroffene nach erfahrener Gewalt geschützt und gestärkt werden? Wie müssten Angebote für Täter*innen aussehen, damit sie innerhalb eines solchen Rahmens Unterstützung für eine Lebensführung ohne Gewalt erhalten können? Wir haben auf diese und andere Fragen noch keine zufriedenstellenden Antworten. Denn letztlich müssen die Antworten in gemeinsamer emanzipatorischer Praxis und sozialen Kämpfen gefunden und umgesetzt werden. Wir wollen und werden dabei sein!

Für eine Gesellschaft ohne Knäste!