Ein ausführlicher Text von Octopus aus der JVA Hannover
Die Umstände von Suiziden und deren Gründen zählen zu den Tabus des Strafvollzugs und zeigen vielfach das totale Versagen des Strafvollzugsystems auf. Diese werden mit allen Mittel der Zivilgesellschaft vorenthalten, wenn es nur irgendwie möglich ist. Die Schuldfrage wird mit allen Mitteln von der Justiz abgewendet, dazu hat sie alle juristischen Mittel und ein Heer von StaatsdienerInnen, denen es daran gelegen ist, Schaden vom Amte abzuwenden. Mir ist es bis dato erspart geblieben, selber direkt einen Fall von Suizid zu sehen. Daher beruhen diese schriftlichen Darstellungen auf Recherchen und Aussagen von Mitinhaftierten oder Entlassenen.
Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch zunächst darlegen, wie das System des Strafvollzugs alles daran setzt, Inhaftierte blindwillig zu unterwerfen – und dabei auch forcierte Suizide durch systematischen Terror in Kauf zu nehmen.
Fälle, die medial in Erscheinung der Öffentlichkeit geraten sind, sind für den Strafvollzug immer eine besondere Herausforderung. Sollten Suizide auftreten und die Presse davon Wind bekommen, beginnt auch mal der Thron der Anstaltsleiters/in oder gar des Justizministeriums zu schwanken. Daher gilt höchste „Fürsorge“ des Vollzugs anzuwenden. Über 6 Monate BGH (besonders gesicherter Haftraum) mit 24 Flutlichtbeleuchtungen bei Kameraüberwachung, dazu das regelmäßige, 30-minütige Wecken zu nächtlicher Stunde. Dazu das permanente Geschrei inkl. Beleidigung und Bedrohungen, eine nachhaltige Erstlingserfahrung im demokratischen Strafvollzug.
Sehr ungehalten waren die Herrschaften, als ich auf Grund des Terrors mit einem Hungerstreik agierte. Einen total ausgemergelten Inhaftierten vielleicht auch im Rollstuhl vorzuführen, ist nicht im Sinne des Strafvollzugs mit all seinen vermeintlichen empathischen Saubermännern. Über 35 kg nahm ich in meinem Hunger- und Trinkstreik binnen sechs Wochen ab, konnte nicht mehr laufen, wurde wie ein Stück Vieh auf dem Boden unter die Dusche geschleift und mit Wasser übergossen, um vorzeigbar zu sein. Ich sollte künstlich ernährt werden, brach erst ab als es 5 nach 12 war und ein Seelsorger mich vom Abbruch überzeugte. Vor der Verhandlung ließ man dann etwas ab, mein Standing hatte für Abstand gesorgt. Trotzdem ließ man es sich nicht nehmen, mir eine möglichst lange Haftstrafe zu wünschen. Da diese doch unter den Vorstellungen blieb, sagte man mir auf den Kopf zu, dass für mich der „Suizid das Beste“ wäre, ich die Haftzeit ohnehin nicht durchhalten werde. Überraschend konnte ich im Rahmen einer Petition an den Nds. Landtag erfahren, dass ich gar keinen Hungerstreik durchführte, sondern dass es nur „Appetitlosigkeit“ war.
Da ich im Rahmen meiner Haftzeit erheblich erkrankt bin wäre es für den Vollzug sicher eine frohe Kunde, wenn meine Lebendkontrolle als negativ gemeldet wird. DAS ist eine sehr realistische Betrachtung, aber diese Offerte werde ich natürlich nicht annehmen. Dass ein Suizid hier im Knast niemanden draußen interessiert, hatte mir auch mein damaliger Anwalt mitgeteilt, diese Erfahrung konnte ich nachhaltig machen. Hier kommt der Justiz auch der Pressekodex zu pass, der solche Darstellung nicht vorsieht, ferner kommt dazu der neuerliche Datenschutz der sonst niemanden in Haftzeit interessiert, gar eingefordert werden muss und ein Schattendasein fristet.
Sollte ein Inhaftierter in der Anstalt versterben oder es gibt einen anderen Notfall wird sofort Generaleinschluss gegeben. Genaue Informationen sind dann kaum zu erfahren. „Hausarbeiter“ in Form von Inhaftierten, die auch nur einen Hauch mitbekommen, sind tunlichst angehalten, wegzuschauen und Fehlverhalten des Knastpersonals auszublenden. Sie würden sofort ihren Job als Vertrauensperson gefährden!
Noch vor Jahren waren hier die Substitution bei schwerst Suchtkranken so gut wie kaum praktiziert, regelmäßig drehten Junkies durch, versuchten auch durch Ritzen und Schlitzen sich Gehör zu verschaffen, um in die Substitution zu kommen. Andere machten ohne Aufsicht ihren kalten Entzug durch oder konsumierten alle Ersatzdrogen, die es im Knast im Übermaß gibt. Doch tatsächlich scheint daran auf Grund der Ermangelung und Motivation des Systems niemanden gelegen zu sein: Wenn alle Problemfälle hier im kollektiven Dauerrausch sind, ist die Gefahr für Suizide bekanntlich geringer. Denn wesentlich risikoreicher sind entzügige Inhaftierte.
Der Vollzug selektiert sehr professionell, wem er Hilfe zukommen lässt. Bekommt man mit, dass man mittellos ist, keine Verwandtschaft, Anwälte o.ä. hat, also abgekapselt von der Gesellschaft ist, kann die Justiz sicher sein, dass keine mediale Berichterstattung zu erwarten ist. Häufig trifft das auf Migranten zu, die z.B. aus Afrika stammen und auf keinerlei Netzwerk zurückgreifen können. Sollte man diese aus ihrem ohnehin schon spärlichen sozialen Umfeld trennen, ihnen die letzten sozialen Kontakte nehmen und sie – wie häufig hier geschehen – von Haus zu Haus reichen, weil sie auf Grund von Sprachverständigung etc. unbequem sind, kommt es immer wieder vor, dass solche Inhaftierte durch das forcierte Handeln von Entscheidungsträgern buchstäblich durchdrehen.
In EINEM Jahr gab es so hier Tote aus Somalia, dem Süd-Sudan und aus Polen. Wer glaubt, die Menschen könnten sich in Krisensituationen an PsychologInnen oder SozialarbeiterInnen wenden um Hilfe zu erhalten , wird in der Praxis des Vollzugs nachhaltig enttäuscht werden. In welcher Sprache sollte auch die Kommunikation stattfinden, wer spricht deren Landessprache? Dolmetscher totale Fehlanzeige!!! Das gilt für Arztbesuche und ferner sind alle Anträge ausschließlich auf Deutsch.
Aufmüpfigen Inhaftierten kommt man mit vielen „Späßchen“ des Vollzugs entgegen. Neben ihrem Suchtverhalten haben die allermeisten Inhaftierten eine hohe Abhängigkeit von Nikotin und Kaffee. Gerne werden deren Einkäufe nicht geliefert oder sie bekommen kein Taschengeld, weil der Antrag zum 10. Mal verloren gegangen ist. Solche „Kleinigkeiten“ haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass sich Suizide in den Haftanstalten zugetragen haben.
Die Schilderungen von Inhaftierten überschneiden sich nahezu 1:1. Dass psychisch besonders auffälligen Inhaftierten Hilfe in Form von Psychologinn/en zur Seite gestellt wird, ist kaum der Fall. Einige Inhaftierte kommen aus sehr vom Patriarchat geprägten Gesellschaften. Andere sind religiös. So kann es schon ein Affront sein, wenn weibliche Bedienstete deren Zellen durchsuchen, ohne Anklopfen willkürlich beim Gebet eintreten oder gar mit einem „unreinen“Hund in der Zelle auf Drogenjagd gehen.
Rücksicht und Fingerspitzengefühl totale Fehlanzeige, verfeindete Strukturen werden experimentell forciert nebeneinandergelegt. Wenn es zu Prügelein kommt, nimmt man das als willigen Anlass, die Haftstrafe zu verlängern. Andere verlassen aus Angst nicht die Zellen, trauen sich nicht in Gemeinschaftsräume wie Küchen und Duschen, vermeiden die Freistunden. Diese Isolation führt auch zu nachhaltigen Exzessen.
Manche fügen sich Schnitte und Ritzerein zu, um das Haus oder die Anstalt zu verlassen. Andere stellen Suizide nach, um so Aufmerksamkeit zu erwecken und ihre Ziele durchzusetzen. Ein Inhaftierter berichtete, dass ein Inhaftierter mehrfach so agierte. Eines Tages wollte er sich kurz vor der Abendbrotausgabe, die sich durch entsprechende Geräuschkulissen ankündigte, ans Fenstergitter hängen, um abermals „kurz vor 12“ gerettet zu werden. In diesem Fall ging die Sache schief, während seiner Vorbereitung gab es „stillen Alarm“, die Abendbrotausgabe wurde abgebrochen, er erhängte sich am Fenstergitter. Dieses mal kam jede Hilfe zu spät.
Ein Inhaftierter, der damals in einem anderen Bundesland untergebracht war, berichtete, dass in einer 4-fach Unterbringung ein Inhaftierter aus dem Kongo untergebracht war. Dieser war von Abschiebung bedroht. Er stopfte sich einen Lappen in den Mund und öffnete seine Schlagadern.
Das dortige Knastpersonal zeigte sein wahres Gesicht. Sie waren bester Laune und waren froh, wieder ein Problem gelöst zu haben.
Viele Inhaftierte glauben wirklich noch an die Verheißungen von PsychologInnen und SozialarbeiterInnen, wenn es um vermeintliche Lockerungen gibt. Durch komplette Unterwürfigkeit im Status einer Marionette sind alle Mittel Recht, eine vorzeitige Entlassung zu erreichen. Doch wenn auch diese Blase platzt und der Klient mitbekommt, dass alles nur von vorne bis hinten gelogen war, um einen möglichst gläsernen Inhaftierten zu bekommen und nichts in puncto Entlassung zu erwarten war, drehen manche buchstäblich durch. Als Maximum wird auch mal die Zelle in Brand gesteckt und auch noch andere Inhaftierte in Gefahr gebracht. Vielfach können diese Brände gelöscht werden, nicht aber zuletzt wie mir bekannt in Berlin Tegel im Frühjahr. Dort fand ein psychisch auffälliger Inhaftierter den Feuertod. Klassischer Weise war von einem Versagen durch den Vollzug nichts zuhören. Die offensichtlich vorformatierten Darstellungen der Justizministerien gleichen sich wie ein Ei dem anderen.
Die Abläufe, die medial aus der JVA Kleve oder in der Polizeiwache in Dessau bekannt sind, sind nach über Jahren nicht aufgeklärt. Offensichtlich besteht keinerlei Interesse daran, derartiges aufzuklären. Und dann noch simple Brandschutzmelder, welche in Haushalten und öffentlichen Einrichtungen verpflichtend sind, in Haftanstalten aber nicht vorgesehen sind. Dass die Justiz sich mit fragwürdigen Aussagen davor windet, diesen Missstand zu ändern zeigt, dass es eine vermeintliche Fürsorgepflicht für Inhaftierte nicht gibt. Die Folgen werden verschleiert und passend für sich hingebogen.
Im Maximum gab es hier drei Suizide/Todesfälle in einem Jahr bei 600 Inhaftierten, alle Entscheidungsträger sitzen nach wie vor fest im Sattel. Es gab lediglich ein kleines Personalkarussell auf unterer Dienststufe. Jene die besonders rücksichtslos agierten wurden in Außenstellen geparkt, bis Gras über die Sache gewachsen ist, mehr geht nicht!!! Die Justiz lässt seine MitarbeiterInnen nicht fallen, dessen sind sich die Schergen des Systems bewusst.
Ich hatte einmal einen schweren Asthmaanfall, die AufseherInnen agierten abendlich in stoischer Gelassenheit. Auch dass ich mehrfach als Notfall in ein externes Krankenhaus eingeliefert wurde, fand wenig Beachtung. Manch kindlich dümmlicher Nachwuchskader äffte meine Luftnot noch nach und erheiterte sich gemeinschaftlich daran. Zu großem Unbehagen führte auch meine Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung in Reihen des Personals. Es war schon ein Wunder, dass die Staatsanwaltschaft überhaupt Ermittlungen einleitete, trotzdem wurde die Sache natürlich eingestellt. Die AufseherInnen präsentierten eine gemeinschaftlich rekonstruierte entlastende Version und schon war die ehrenwerte Gesellschaft entlastet.
Ein anderer Inhaftierter berichtete aus seiner langjährigen Hafterfahrung, dass sich gewisse Typen von Aufsehern immer wieder Inhaftierte rauspicken, die sie systematisch drangsalieren, um sie zum Ausrasten zu bringen. Öffentlich werden sie vor anderen Inhaftierten bloßgestellt oder auch mal mit kleinen „Nackenschlägen“ traktiert. Ihnen wird bei Zellenkontrollen der spärliche Einkauf über den Haufen geworfen, damit er nicht mehr nutzbar ist. Ein Haufen mit Tabak, Salz, Zucker, Kaffee – oder man beschlagnahmt alles mit dem Vermerk „Unbekannte Substanz“.
Die Zellen werden dermaßen verwüstet und das täglich über Wochen und Monate, bis Inhaftierte keinen anderen Ausweg sehen.
Neben den von Abschiebung Bedrohten sind auch die Lebenslänglichen, die gar auch noch SV und keine wirkliche Chance auf Entlassung haben, Teil der suizidalen Häftlinge.
Traumatisch mein nur kurzer Aufenthalt von 150 Tagen in einem Justizvollzugskrankenhaus(Lingen), dort war auch eine vermeintliche „Langzeitpflege“ mit angeschlossen. Ein Ort, den ich nur als Vorort zur Hölle bezeichnen konnte. Inhaftierte in Rollatoren und Elektrorollstühlen vegetierten dort, zumeist auch noch unter starken Psychopharmaka, ihre letzten Tage ab. Solche Orte werden genutzt, um die Statistik durch Todesfälle der Haftanstalt nicht zu belasten. Wer da gelandet ist, hat mit dem Leben abgeschlossen, hier ist der Countdown Tod auf Raten eingeläutet.
Endstation Knast !!