Eine Statusmeldung aus dem Strafvollzug Niedersachsen, September 2021
Nachdem sich bereits in den Haftanstalten der südlichen Bundesländer die Feinvergitterung der Hafträume wie eine Seuche ausgebreitet hat, setzt sich nun auch in Niedersachsens Haftanstalten diese menschenverachtende Konstruktion durch. Der Prototyp des Terrors hatte bereits 2020 in Hannovers JVA Einzug gehalten. Anfänglich gelang es durch die Klage eines Inhaftierten vor der Strafvollstreckungskammer Hannover, den Weiterbau auf Grund eines einbestellten Gutachtens eines Sachverständigen auszusetzen. Wie nun in Erfahrung gebracht worden ist, wurde die Klage offensichtlich negativ beschieden. Denn im August wurde die Feinvergitterung der restlichen Hafträume in Hannover durch die bauausführende Firma Schmedeke beendet.
Inhaftierte müssen Feinvergitterung für sich und andere selbst bauen
Anfänglich mutmaßten noch einige Inhaftierte, dass sich derartige Umrüstungen auf Feinvergitterung nur auf JVA-Sanierungsfälle belaufen sollten. Das ist nun klar widerlegt. Bereits 2020 hatte die JVA Celle eine komplette Fertigungsstraße von der Fensterbaufirma Schüko nebst Software erworben. Die Investitionskosten sollen sich auf über 250.000 € belaufen haben. Aufgrund des vom Gericht beauftragten Gutachtens ruhte die Fertigungsstraße und hat nun die Produktion für ganz Niedersachsen aufgenommen. Als Lieferant für die Edelstahlplatten, welche quadratisch perforiert sind, sich bei Hitze stark aufheizen und den Luftaustausch massiv behindern, wenn nicht gar komplett durch das Wärmeabstrahlverhalten der Platten komplett verhindern, gilt die JVA Sehnde! Wurde das Modellprojekt Niedersachsens noch anfänglich an eine Fremdfirma vergeben, hat man sich in Folge dazu entschlossen, die Produktion durch die günstige Zwangsarbeit durch Inhaftierte in den Haftanstalten ausführen zu lassen! Im Bau befinden sich nicht nur komplette Fensteranlagen plus Vergitterung, es werden auch solche „Nachrüstsätze“ für Haftanstalten produziert, die eine Vor-Gitter-Montage ermöglichen werden. De Facto wird es eine Frage der Zeit sein, bis alle Haftanstalten Niedersachsens umgerüstet sind.
Zahlreiche blinde Flecken bei der Begutachtung
Es ist nicht bekannt, dass der Gutachter relevante Langzeitmessungen in den Hafträumen durchgeführt hat. Beachtenswert wären auch die Hitzepeaks in Hochsommerzeiten der vergangenen Jahre. Ein weiterer Grund für den negativen Entscheid des Gerichtes in Kooperation mit dem Sachverständigen ist sicherlich auch der mangelhaften Umsichtigkeit des damaligen Klageführers geschuldet. Leider zeigte er sich nur wenig kooperativ, auch andere Meinungen und Argumente zuzulassen und beharrte auf seiner einseitigen Betrachtungsweise. Argumente wie Corona und damit die neuerlichen Anforderungen an die Luftwechselraten gemäß des Infektionsschutzgesetzes und auch des Bundesumweltamtes wurden gänzlich unbeachtet gelassen. Auch die Situation der Nichtraucher wurde ausgeblendet. Denn zuständige Fachabteilungen des Justizministeriums hatten in anderer Sache noch kurz davor argumentiert, dass gesundheitliche Belastungen durch unverzügliche Nachbelegung in Starkraucherzellen problemlos durch großflächige Fenster neutralisiert werden könnten. Die Behauptung, dass man trotz Feinvergitterung der Fürsorgepflicht gegenüber den Inhaftierten entsprechen würde, ist so endgültig entkräftet.
Feinvergitterung bedeutet höchste psychische Belastung
Völlig unbeachtet ist von Seiten der Gutachter augenscheinlich, dass erforderliche Baupsychologen nicht gehört worden sind. Diesen wäre sicher nicht entfallen, dass die Insassen vielfach durch ihren langjährigen Drogenkonsum psychisch sehr auffällig sind, auch die Substitution führt bekanntlich zu Psychosen/Halluzinationen, und unter vielem anderen mehr leiden. Die Zahl der Suizide und Suizidversuche sind in den letzten Jahren wider verstärkt angestiegen. Das ergab auch die kürzliche Anfrage der die Linke an die Bundesregierung. Natürlich stellen sich die verantwortlichen Entscheidungsträger der Haftanstalten und Justizministerien auch zum Selbstschutz ahnungslos. Offensichtlich zieht man es nicht in Betracht, dass solche menschenverachtenden Konstruktionen einer Verplattung der Hafträume mit dafür verantwortlich gemacht werden, um derartige Handlungen auszulösen. Durch das Erstellen derartiger Gefälligkeitsgutachten kann sich die Justiz natürlich bequem zurücklehnen und jegliche Verantwortung abweisen.
Feinvergitterung für Nichtraucher besonders dramatisch
Für die geringe von Nicht-/Nierauchern in Haft werden durch die neuartigen Feinvergitterungen weitere schwere Zeiten anbrechen. Die Justiz hat es ja bekanntlich bestens verstanden, sich in puncto Nichtraucherschutz ein Schlupfloch offen zu halten. Die Nachbelegung von Nichtrauchern in zuvor von Kettenrauchern über Jahre hin frequentierten Zellen ist als Körperverletzung anzusehen. Die Ausdünstungen der Toxine sind noch über Monate zu ertragen. Diese entweichen aus dem gesamten Mobiliar und der zumeist maroden Bausubstanz. Die Verantwortungslosigkeit des Justizsystems ist offensichtlich, reagierte diese zuvor noch mit fragwürdigen Aussagen, die durch das Justizministerium abgesegnet waren. Das vermeintliche Problem der Nikotinbelastung könne bequem durch Lüften behoben werden, da ausreichend große Fenstern in den hafthäusern vorhanden wären. Nun wird billigend in Kauf genommen, dass chronische Erkrankungen wie Asthma/COPD, kardiologische Erkrankungen etc. als Kollateralschaden der Haft hingenommen werden müssen!
Feinvergitterung schwächt Sehkraft
Die Edelstahlplatten erweisen sich bei starker Sonneneinstrahlung als wahres Blendwerk, unerträglich ein Blick durch diese bei Sonnenlicht. Ohnehin wird den Inhaftierten nur eine Freistunde gewährt, indem sie die Möglichkeit haben, ihre Augen auch mal mehr als 5 Meter im Fernbereich zu nutzen. Blicke durch die Gitter sind auf Dauer nahezu unmöglich, das Auge zoomt automatisch den naheliegendsten Punkt an. Weite Blicke, wenn sie überhaupt möglich waren, werden nachhaltig verhindert. Jedes Huhn in der Legebatterie hätte Unterstützung von Tierschutzorganisationen, die gegen die Missstände protestieren würden. Den rechtlosen Inhaftierten wird derlei Mitleid nicht gewährt! Diese müssen auch für die Folgen der Verschlechterung der Sehtüchtigkeit selber aufkommen, auch wenn sie nur Taschengeldempfänger sind. In anderen Bundesländern werden die Kosten übernommen, in Niedersachsen sind Zuzahlungsanteile unabwendbar.
Argumente der Justiz nur vorgeschoben
Aushänge im Strafvollzug wie „Die Würde des Menschen ist unantastbar“erweisen sich endgültig als klare Makulatur! Der Fürsorgepflicht gegenüber den Inhaftierten ist damit keinesfalls Rechnung getragen. Die Verschlechterung der Haftbedingungen, die auch die Gesundheit betrifft, wird billigend in Kauf genommen. Das Argument der Justiz, diese Verplattungen sollen dazu dienen, Einflüge von Drohnen zum Transport von Drogen oder gar Waffen zu verhindern, erweist sich schon daher als haltlos, da die Haftanstalten bekanntlich allesamt mit Drohnenabwehrtechnik ausgestattet sind. Die weiteren Argumente der Verhinderung der vermeintlichen Vermüllung der Freiflächen und des Pendelns könnte man zweifelsfrei durch Kameratechnik und motivierte Mitarbeiter entkräften. An beidem mangelt es dem Strafvollzug nachhaltig. Daher ist alles eher der „Entlastung“ des Knastpersonals geschuldet, das sich mehr mit geselligem Zeitvertreib beschäftigt, als seine Aufgaben sorgfältig auszuführen.
Es zeigt sich, dass Inhaftierte im Einzelnen nur wenig Chancen haben, gegen die Allmacht der Justiz Veränderungen zu bewegen und durchzusetzen. Leider fehlt es oft an Solidarität gegen das System Knast und seine Missstände. Inhaftierte werden bekanntlich zu gefügigen Marionetten konditioniert, so dass sie sich dann leicht als Statisten im Knastsystem instrumentalisieren lassen.
Es bleibt abzuwarten, bis der erste Tote gegrillt in der Zelle liegt. Niemand wird sich dann zuständig fühlen! Die Konstruktion der Fensterfeinvergitterung ist einfach nur menschenverachtend!