Beobachtungen im Strafvollzug – Essen im Knast

Aus dem niedersächsischen Srafvollzug erreichte uns dieser anonyme Bericht über die Ernährungssituation. Für fast 18 Monate gab es dort einen neuen Knast-Koch als Verantwortlichen am Herd, der für eine Verbesserung der Ernährungslage in der JVA gesorgt hatte. Dieser hat sich aufgrund von Anfeindungen und Schikanen des Knastpersonals ihm gegenüber jedoch wieder verlegen lassen, woraufhin die Situation nun wieder gewohnt schlecht ist. Ein spannender Einblick in die Verhältnisse hinter Gittern:

Undank ist des Knastes Lohn – Die ernüchternde Bilanz eines Knast-Kochs : ausgebeutet, manipuliert und abserviert

Dass gutes Essen auch die Psyche beeinflusst, ist nachhaltig in Studien bewiesen. „Du bist, was du isst“ hat sich im Rahmen von Studien, auch im Strafvollzug, bestätigt. Es legt zudem in Gänze dar, dass sich die Aggressivität der Inhaftierten in den Haftanstalten auch durch gute Ernährung deutlich reduzierte.

Die Gesellschaft für Ernährung gibt bekanntlich vor, dass jeder Mensch täglich bis zu 5 Mahlzeiten an frischem Obst und Gemüse verzehren sollte. Das sollte auch für den Knast gelten, denn es wird ja von der Justiz im Rahmen der Resozialisierung immer wieder vorgegeben, dass man sich auf die Gesellschaft in Eigenverantwortung auch in Punkto gesunder Lebensführung vorbereiten soll.

Leider ist der Haftalltag stattdessen mehr von alltäglichen Enttäuschungen behaftet. Das wird dadurch deutlich, dass das Essen vielfach unangerührt zurückwandert und in der Futtertonne landet. Die Eintönigkeit ist kaum definierbar, man kann darlegen, dass sich der Futterplan alle spätestens 4 Wochen dreht. Kulinarische Highlights sind unter anderem Milchreis, Sojanka (nach original DDR Rezept, aufgrund von Resteverwertung), Calenberger Pfannenschlag, Tiefkühl Kartoffelpuffer etc. Es müsste jeden Koch in Leitung zu denken geben, wenn das Essen unangerührt zurück kommt.

Für fast 18 Monate hatten wir hier einen neuen Knast-Koch als Verantwortlichen am Herd.

Es war schon fast ein Wunder, dass es ihm gelang, die verkrusteten Strukturen der Behördenabläufe aufzubrechen. Das Essen wurde merklich besser und viele neue Dinge gelangten nach vielen anfänglichen Widerständen auf den Tisch. Natürlich blieb man, wie auch in anderen Knästen, mit der Versorgung mit Obst und Gemüse deutlich unterversorgt. Was auch nachweislich an den Verantwortlichen ProtagonistInnen der BehördenmitarbeiterInnen lag. Es ist immer wieder befremdlich, dass Küchenpersonal, rekrutiert aus völlig anderen Berufen, das Zünglein an der Waage abgibt. Aussagen wie „die sollen hier Spüren, dass die hier im Knast sind“, sprechen eindeutige Sprache.

Der Strafvollzug ist in der totalitären Struktur ohnehin ein Zugmagnet für ehemaligen DDR-Bürger, die die damaligen gebotenen, klar strukturierten Abläufe der Gesellschaft offensichtlich vermissen. Für den Strafvollzug sind „Kinder oder Enkel“ mit „DDR Prägephase“ ein klarer Gewinn. Die Gleichschaltung mit der schwarz/weiß Denke „wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ ist nach wie vor herzlich willkommen.

Der neue Knast-Koch konnte schon auf seinen umfänglichen Erfahrungsschatz durch eine On-Off-Beziehung als Knast-Koch zurück blicken. Seine Arbeit wurde in vielen Haftanstalten in höchsten Tönen gelobt. Und das führte auch zur Besetzung seiner Position. Der Koch, schon Rentner, konnte aufgrund seiner Haftzeit nur auf eine kleine Rente zurückgreifen. Denn Rentenversicherung verwehrt das Knast-System Inhaftierten beharrlich. Um der Zahlung von Haft-Kosten zu entrinnen und um auch durch seine Arbeit fit zu bleiben, arbeitete er in der Regel 7 Tage in der Woche im Knast, um den Laden am laufen zu lassen. Als nun Arbeiter bekam er hier den Knast-Lohn und konnte seine kleine Rente ansparen, um seiner Zeit nach der Haft nicht Mittellos entgegenzutreten.

Bedingt durch die Corona-Pandemie, verzichtete der „Knastsenior“ auf seinen 20 Tage Urlaubsanspruch. Vermeintliche SozialarbeiterInnen, MitgliederInnen der Abt. Sicherheit, der Anstaltsleiter, gaben sich die Klinke in die Hand und erbettelten seine Arbeitskraft und er ließ sich auch aus seiner eigenen Verantwortung gegenüber den Inhaftierten breitschlagen durchzuarbeiten.

Augenscheinlich war aber auch zu beobachten, wie sehr die Anstrengungen des auch chronisch kranken Kochs an seiner Substanz nagten. Mehrfach spielte sein Herz verrückt. Durch die neuerlichen Feinvergitterungen der Fenster rang er stets nach Luft an heißen Tagen. Ein Aufstieg bis in die dritte Etage ohne ausreichender Belüftung, war ein regelrechter Kraftakt.

Nach nicht nur seinen Angaben, besticht diese Knastküche hier durch totale Strukturlosigkeit. Nach all den Jahren Knast hätte der 1. Koch eine derartige Inkompetenz wohl noch nicht erlebt. Wie schon in der freien Wirtschaft, ist man schon als Angestellter schlecht damit beraten, wenn man mehr Ahnung wie der Chef hat. Ein guter Chef würdigt bekanntlich die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter, aber davon können die Inhaftierten in Haft nur träumen! Wenn die Inkompetenz am Ruder ist, ist das Chaos vorprogrammiert. Wenn einem dazu noch alltäglich das Ruder aus der Hand genommen wird, ist es nachvollziehbar, dass man eigenständig seine innere Kündigung vollzieht. Die ganze Knastarbeit gleicht ja ohnehin mehr einer Arbeitstherapie in der manche nur ihre Zeit totschlagen und die Mithelfer sich wie im Kindergarten verhalten und das Knastpersonal bespaßen.

Im Fall des 1. Kochs war es nicht schwer, mit Kusshand wurde er in einer anderen Haftanstalt genommen und fühlt sich dort nach eigenen Darstellungen wieder wohl.

Für uns hinterbliebenen sind nun wieder dunkle Wolken aufgezogen, der Nachfolger ist nun völlig schmerzfrei, kippt alles in die Töpfe und freut sich über ein paar Streicheleinheiten seiner WärterInnen. Seine Qualifikation ist eine „Lehre“, welche er hier im Knast absolviert hat. Wie die Prüfung bestanden wurde ist allen ein nachhaltiges Rätsel. Ab sofort werden alle Wünsche des Knastes blindlings umgesetzt, mag der Knastdirektor kein Knoblauch, heißt es faktisch für alle kein Knoblauch! Herr Anstaltsleiter möchte das Original Essen der Inhaftierten „kosten“. Als Militär der Bundeswehr, hat dieser offensichtlich keine hohen kulinarischen Ansprüche, anders wohl denkt jener wohl auch daran, dass ihm das Lob des Ministeriums sicher ist, denn als „Sparhans“ ist er da gern gesehen.

Es liegt einfach am System Knast, dass nur Marionetten in Ihrer Gefügigkeit und Unterwürfigkeit im Gegenzug die Rolle ihres Lebens hier im Knast finden werden.

Der neue Knastkoch hier hatte ja draußen nicht einen Tag einen Löffel in Anstellung/Selbstständigkeit herumgerührt. Nun wird uns das weiter zugemutet, mit Wohlwollen des Knastes!

Vom Knastsenior, hatte sich keiner der ehemaligen Entscheidungsträger verabschiedet. Nachdem er seine Verlegung auch zum Selbstschutz beantragt hatte ist er nachdrücklich in Ungnade gefallen. Der Gipfel der Niederträchtigkeit war es dann auch noch, dass er trotz seiner Krankheit in den maroden verdreckten Block des „Transporterhauses“ verlegt wurde. Erstmalig auch wohl um 16 Uhr. Üblich ist in der Regel zumeist 18-19 Uhr. Musterinhaftierten wurde gar ermöglicht, das sie auch früh vom Stammhaus verlegt werden. Alles das macht einfach nur betroffen, welch einen Undank man hier ertragen muss, alles ist klar auf Demütigung ausgerichtet! Der neue experimentiert nun für seine nächste Etappe in der Forensik. Dort wird er sicher von den Pflegern gelobt werden?

Damit soll hier dann mal Ende sein, fortan heißt es hier mit spitzem Bleistift rechnen und das Taschengeld für gutes Essen per Einkauf gestalten. Leider kann man im Knast keine Selbstversorgung einfordern, das würde sicher eine Vielzahl der Inhaftierten in Anspruch nehmen…

Mfg., Anonym, 18.08.2021

„Es gibt lebende soziale Kräfte, die sich gegen Willkür, Gewalt und Autoritarismus widersetzen.“ (Dimitris Koufontinas)

Redebeitrag der Knast-Soligruppe Göttingen bei der Kundgebung zum Tag der politischen und sozialen Gefangenen am 18.03.21

[Kontext: Dimitris Koufontinas hat nach 66 Tagen am 14.03.21 seinen Hungerstreik auf einer Intensivstation in Lamia (Griechenland) beendet. Er bezieht sich auf die weltweiten Solidaritätsaktionen: “Was da draußen passiert, ist viel wichtiger als das, wofür es angefangen hat. Angesichts der Macht dieser Kämpfe erkläre ich meinerseits, dass ich mit Herz und Verstand hier und unter euch bin.“]

[Fotos: Links Unten Göttingen]

Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen, liebe Gefangene, die heute nicht hier bei uns sein können,
Als Knast-Soli-Gruppe sind wir mit Gefangenen der JVA Rosdorf und aus anderen Knästen bundesweit in Kontakt. Wir unterstützen sie, wenn sie sich gegen Ausbeutung, Übergriffe und Schikanen im Knast wehren, halten Briefkontakte und veröffentlichen Berichte und Artikel der Gefangenen auf unserem Blog, den Link findet ihr hinten am Stand.

Wer Lust hat uns zu erreichen, oder mitzumachen schreibt uns am besten eine Mail. Wir haben hier am Gänselieselbrunnen auch noch eine kleine Daten- & Faktensammlung aus der Ausstellung „Knastleben“ von Genoss*innen aus Hamburg zum Thema Gefängnis in Deutschland sowie Buchempfehlungen ausgelegt. (1)
Wir möchten heute aber auch nicht selbst viel Raum einnehmen, sondern Betroffene zu Wort kommen lassen.

Darum folgt jetzt die Presseerklärung vom 08.03.2021 von ehemaligen Gefangenen aus der RAF und der Bewegung 2. Juni zum Hungerstreik des griechischen Gefangenen Dimitris Koufontinas.



Freiheit für Dimitris Koufontinas!

Das Gefängnis ist ein Ort der Diktatur. Jeder Hungerstreik, den ein Gefangener führt, ist der Kampf des Subjektes gegen eine Totalität, die ihm nichts weniger als genau diese Subjekthaftigkeit abspricht.

Seit über 50 Tagen ist Dimitris Koufontinas in einem griechischen Gefängnis im Hungerstreik. Dimitris Koufontinas gehörte der bewaffneten Gruppe 17. November an, die in der Folge der griechischen Militärdiktatur 1975 entstanden ist und 25 Jahre existierte. Der Gruppe wurden einige bewaffneten Aktionen vorgeworfen, darunter die Erschießung des CIA-Chefs für Südosteuropa. Weitere Anschläge auf US-Offizielle folgten wegen der Verbindung zwischen Nato-USA und griechischen Putschisten, die jahrelang ein Terrorregime über Griechenland installierten. Andere Anschläge richteten sich gegen griechische Politiker und Journalisten.

Man muß daran erinnern, dass die Aktionen der Gruppe 17 November unmittelbar mit der Tatsache verbunden sind, dass das griechische Militär am 21. April 1967 putschte und bis zu seinem Sturz 1974 ein Klima offener Gewalt über das Land legte. Zu den historischen Tatsachen gehört, dass die US-amerikanische Nixon-Regierung jahrelang eng mit den Diktatoren zusammenarbeitete. Das gleiche Urteil ist gegen das damalige griechische Königshaus wie auch viele der reichen Familien historisch gefällt, die wegen politischen Stimmungsänderungen in den sechziger Jahren um ihre besonderen Privilegien fürchteten und die Putschisten förderten.

Dimitirs Koufontinas hat sich 2002 freiwillig der griechischen Justiz gestellt, um neben anderen, die verhaftet und angeklagt waren, die politische Verantwortung für die Handlungen des 17. November zu übernehmen. Aussagen, die seine Mitangeklagten hätten belasten können, hat er stets verweigert. Seine gesamte Haltung wurde von vielen Linken und Intellektuellen gewürdigt. Dem Gefangenen, der zu mehrfach lebenslänglicher Haft verurteilt worden war, wurden seit 2017 Hafterleichterungen gewährt, die ihm rechtlich allerdings bereits Jahre zuvor zugestanden hätten.
Die heutige Regierung in Griechenland macht kaum einen Hehl daraus, dass sie in den sozialen und politischen Kategorien denkt, die mit der Militärdiktatur verbunden waren. Der Präsident der jetzt regierenden Partei Neue Demokratie, Kyriakos Mitsotakis, hat bereits vor seiner Wahl erklärt, dass er die Haftrealität von Dimitris Koufontinas verschärfen werde. Um dieses Unterfangen, hinter der das persönliche Rachebedürfnis einer vom 17. November angegriffenen griechischen Herrschafts-Familien steht, umzusetzen, wurde im Dezember 2020 ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Dahinter verbirgt sich das Verlangen, dass linke politische Gefangene aussagen und öffentlich bereuen müssen. Genau dieses Verlangen erhoben die griechische Diktatoren 1967 gegenüber tausenden von als Kommunisten verdächtigten Gefangenen, die barbarischen Haftbedingungen und ständiger Folter ausgesetzt waren.

Dimitris Koufontinas ist heute 63 Jahre alt. Seit Januar 2021 ist er einer dramatischen Verschlechterung seiner Haftbedingungen ausgesetzt. Inzwischen ist er seit 59 Tagen (7. März 2021) im Hungerstreik. Dimitris Koufontinas kann jeden Augenblick sterben. Er stirbt dann aber nicht, weil er einen bewaffneten Angriff auf die neoliberale Regierung in Griechenland führt, sondern weil er das Verlangen einer regierenden Oberschicht verweigert, ihr zu Füßen zu kriechen. Selbst nach Jahrzehnten ihres Paktes mit einer blutigen Obristendiktatur scheint es diese Oberschicht noch nicht verwunden zu haben, dass auch sie zur Rechenschaft gezogen worden ist.

Es gibt kein Recht auf Unterwerfung der Gesellschaft durch eine reiche Minderheit, die an nichts anderes als an die Erweiterung ihres Reichtums und ihrer Macht denkt. Zu dem niederträchtigen Verhalten gegenüber Dimitris Koufontinas gehören das ebenso niederträchtige Vorgehen gegen Flüchtlinge in Griechenland, gegen Arme und alte Menschen oder jene, die das kapitalistische System einfach nicht mehr braucht.

Wir sind ehemalige Gefangene aus der RAF und der Bewegung 2. Juni. Wir kennen die harte Haltung des Staates und seiner Apparate. Wir kennen Zwangsernährung und exzessive Gewalt der Wächter, wir kennen die »Koma-Lösung«, das zynisch so genannte »Ping-Pong-Spiel«, mit dem man versuchte, uns in einem Zustand zwischen Leben und Tod zu halten in der Hoffnung, dass wir daran zerbrechen. Wir kennen das Spiel, Reue als Bedingung für Freiheiten zu setzen. Dimitirs Koufontinas ist den gleichen Absichten und Handlungen ausgesetzt.
Der Neoliberalismus ist weltweit gescheitert und hinterlässt überall ein desaströses gesellschaftliches Feld. Und gleichzeitig versucht er verstärkt, jeden Gedanken an eine andere Welt, jeden Ansatz von Widerstand gegen sich in der Geschichte auszulöschen.

Nicht wir müssen abschwören, sondern alle, die für diese grauenhaften Verhältnisse verantwortlich sind, die das Leben eines Großteils der Menschheit bestimmen, müssen gehen.
Wir alle sind verpflichtet, auch für das Leben und die Freiheit des politischen Gefangenen Dimitris Koufontinas zu kämpfen.

Knut Folkerts, Christian Klar, Roland Mayer, Karl-Heinz Dellwo, Eva Haule, Monika Berberich (alle: RAF), Ella Rollnik (Bewegung 2. Juni)

Über Gewalt in Polizeigewahrsam

Anlässlich der Gedenkkundgebung des BiPoC-Kollektivs für Oury Jalloh am 7. Januar 2021 wurden wir gebeten einen Redebeitrag zu Gewalt im Knast zu halten. Uns geht es darum weniger einzelne Details aufzuzeigen, sondern einen Fokus auf Gewalt als strukturelles Problem des Knastsystems und seiner Machthierarchien zu legen.
Alle Fotos von Links Unten Göttingen.

Was sich als typisch während der Recherche zu Gewalt im Knast herausgestellt hat, ist die Perspektive der WissenschaftlerInnen. Laut einer Studie des Kriminologischen Dienstes des Freistaates Sachsen aus dem Jahr 2017 werden Angestellte der Knäste ausschließlich als Betroffene körperlicher Gewalt im Knast geführt, nicht jedoch als eigene TäterInnengruppe. Eine weitere Dissertation über Todesfälle im Polizeigewahrsam von 1993 bis 2003 findet 128 offiziell registrierte Tote. Beide wissenschaftlichen Arbeiten weisen darauf hin, dass der Tod von Betroffenen durch eine schnellere Reaktion der SchließerInnen hätte verhindert werden können. Obwohl in 80% der Todesfällen eine unnatürliche Todesursache angegeben wurde, wurde nur bei jedem sechsten Toten ein Rechtsmediziner hinzugezogen, um die Todesursache zu klären. Die Untersuchung ergab, dass vor allem Intoxikationen und Schädel-Hirn-Traumata bei jedem Zweiten zum Tod geführt haben. Abgesehen davon wurde grundlegend ein sehr typisches Fehlverhalten der Bullen bei Ingewahrsamnahmen angegeben: Bei fast der Hälfte der Todesfälle wurde im Nachhinein kritisiert, dass kein Arzt einen Blick auf den noch lebenden Menschen werfen durfte.

Eine weitere empörende Erkenntnis: Dreiviertel aller Todesfälle, die in der Dissertation untersucht wurden, wären vermeidbar gewesen! Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten PolizeibeamtInnen werden sehr selten eingeleitet. Und, Überraschung, nur ein einziges der Ermittlungsverfahren, die hier betrachtet wurden, endete in einer Verurteilung. Dieses eine Verfahren wurde jedoch nicht gegen beteiligte PolizeibeamtInnen geführt, sondern gegen den Arzt der die Gewahrsamstauglichkeit trotz schwerer Kopfverletzungen festgestellt hatte und zu 9000 EUR Geldstrafe verurteilt wurde.

Exemplarisch zeigen die Zahlen und dieses Beispiel dass Polizeigewalt bei Ingewahrsamnahmen nicht ungewöhnlich ist, strafrechtlich nicht ausreichend geahndet wird und betroffene Personen außerordentlich häufig Angehörige marginalisierter Personengruppen sind.

Die nicht-repräsentative Studie aus dem letzten Jahr „Körperverletzung im Amt durch PolizeibeamtInnen“ gibt auch ein paar interessante Details preis, denn nicht mal ein Zehntel aller Körperverletzungen im Amt werden angezeigt. Diese Studie aus dem letzten Jahr ist auch die einzige, die ich gefunden habe, welche Schwarze Menschen und people of colour als spezielle Betroffenengruppe befragt bzw. die Ergebnisse in der Hinsicht ausgewertet hat. „Über Gewalt in Polizeigewahrsam“ weiterlesen

Silvesterkundgebung am Knast in Rosdorf

Wir waren gestern, an Silvester, mit über 50 Menschen an der JVA Rosdorf, um den Gefangenen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Als Knast-Soligruppe haben wir wieder unsere Postadresse bekannt gemacht, damit Gefangene uns schreiben und über die Verhältnisse im Knast auf unserem Blog berichten können. Es gab verschiedene Redebeiträge, u.a. von Ende Gelände und zum begonnenen Rondenbarg-G20-Prozess in Hamburg. Wiederholt wurde festgestellt, dass Knäste keine Lösung, sondern Teil des Problems unserer Gesellschaft sind. Es gab auch ein kurzes Gedenken an Alexander Selchow, der in der Silvesternacht vor 30 Jahren von zwei Nazis ganz in der Nähe in Rosdorf ermordet wurde. Auf der Wiese bei der JVA hat ein Künstler seine Eindrücke von der Kundgebung live gezeichnet. Über Lauti haben wir wieder viel Musik gespielt und – soweit es akustisch ging – uns mit Gefangenen zugerufen.

Wir hatten die Kundgebung nicht angemeldet, mit Masken und Abstand aber unser Hygieneschutzkonzept eingehalten. Die Polizei war vor Ort, hat sich nach der Eskalation bei unserer letzten Kundgebung kurz vor Ostern diesmal jedoch aufs Beobachten beschränkt.

Alle Fotos sind von Links Unten Göttingen:

 

SUIZIDE IM STRAFVOLLZUG – Die Bankrotterklärung des Systems

Ein ausführlicher Text von Octopus aus der JVA Hannover

Die Umstände von Suiziden und deren Gründen zählen zu den Tabus des Strafvollzugs und zeigen vielfach das totale Versagen des Strafvollzugsystems auf. Diese werden mit allen Mittel der Zivilgesellschaft vorenthalten, wenn es nur irgendwie möglich ist. Die Schuldfrage wird mit allen Mitteln von der Justiz abgewendet, dazu hat sie alle juristischen Mittel und ein Heer von StaatsdienerInnen, denen es daran gelegen ist, Schaden vom Amte abzuwenden. Mir ist es bis dato erspart geblieben, selber direkt einen Fall von Suizid zu sehen. Daher beruhen diese schriftlichen Darstellungen auf Recherchen und Aussagen von Mitinhaftierten oder Entlassenen.

Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch zunächst darlegen, wie das System des Strafvollzugs alles daran setzt, Inhaftierte blindwillig zu unterwerfen – und dabei auch forcierte Suizide durch systematischen Terror in Kauf zu nehmen.

Fälle, die medial in Erscheinung der Öffentlichkeit geraten sind, sind für den Strafvollzug immer eine besondere Herausforderung. Sollten Suizide auftreten und die Presse davon Wind bekommen, beginnt auch mal der Thron der Anstaltsleiters/in oder gar des Justizministeriums zu schwanken. Daher gilt höchste „Fürsorge“ des Vollzugs anzuwenden. Über 6 Monate BGH (besonders gesicherter Haftraum) mit 24 Flutlichtbeleuchtungen bei Kameraüberwachung, dazu das regelmäßige, 30-minütige Wecken zu nächtlicher Stunde. Dazu das permanente Geschrei inkl. Beleidigung und Bedrohungen, eine nachhaltige Erstlingserfahrung im demokratischen Strafvollzug. „SUIZIDE IM STRAFVOLLZUG – Die Bankrotterklärung des Systems“ weiterlesen

Monatelang auf Sicherheitsstation wegen Lüge und verschleppter Aufklärung

M. aus der JVA Rosdorf berichtet:

Ich bin seit fast 13 Jahren in der JVA Rosdorf in Sicherungsverwahrung. Ich war wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Da ich in einer vorigen Strafhaftzeit einen Mitgefangenen geschlagen und gewürgt habe, wurde ich zu den zwei Jahren und neun Monaten zudem zu anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung heißt es: Der Untergebrachte ist schnellst möglich wieder in die Gesellschaft zu integrieren, die Fortdauer in der Unterbringung soll nur vollzogen werden, wenn es nicht anders möglich ist. Nach Ablauf von 10 Jahren ist noch mal sehr genau zu prüfen, ob eine weitere Unterbringung notwendig ist.

Leider sind das nur Worte ohne wirkliche Bedeutung, denn aus eigener Erfahrung kann sich sagen, dass ich in all den Jahren den Eindruck gewonnen habe, dass genau das Gegenteil praktiziert wird. In meinem Fall gibt es mittlerweile zwei Gutachten, in denen die Gutachter zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es meinem Fall keine Gründe mehr gibt, die eine weitere Unterbringung in der Sicherungsverwahrung notwendig machen. Trotzdem bin ich noch hier.

Es ist aber nicht nur das Justizministerium, das gegen mich arbeitet, mich belügt, mich hinhält – und immer wieder Dinge tut wo ich denke, man will mich überhaupt nicht entlassen. Man tut eher alles dafür, dass ich so lange wie möglich eingesperrt bleibe. Es sind wiederholt auch Mituntergebrachte, die aus verschiedensten Gründen dafür sorgen wollen, dass ich, ein Anderer oder sonst jemand der nicht beliebt ist, weiter eingesperrt bleibt. Seit fast einem Jahr hatte ich einen guten, vertrauensvollen Kontakt zu einem anderen Untergebrachten. Aus Zufall habe ich erfahren, dass er mir zu dem Grund, warum er in der Sicherungsverwahrung ist, wiederholt nicht die Wahrheit gesagt hatte. Als ich ihn damit konfrontierte, wich er aus und ich sagte ihm, dass ich ab heute nichts mehr mit ihm zu tun haben will, da er mich in dieser für mich sehr wichtigen Sache belogen hatte. Dieser Untergebrachte beschuldigte mich daraufhin ein paar Tage später gegenüber dem Personal, dass ich ihn am Ende einer wirren Geschichte zu Sex gezwungen haben soll. Sofort wurde ich zur Aufklärung auf die Sicherheitsstation innerhalb der Sicherungsverwahrung verlegt. So eine Trennung kann grundsätzlich Sinn machen, um erstmal Schutz für jemanden herzustellen und Zeit zur Klärung zu haben. In meinem Fall nun aber bedeutet das: Ich war bereits in der Entlassungsvorbereitungsphase, aufgrund der Behauptungen ist nun alles zum Stehen gekommen. Vor allem aber bin ich nun schon fast fünf Monate auf der Sicherheitsstation! Mein Anwalt hat nachgefragt. Dabei ist rausgekommen, dass die Polizei wegen der Behauptung noch nicht mal die Ermittlungsakte fertiggestellt hat! An die Staatsanwaltschaft ist also noch nichts übergeben. Nach fünf Monaten! Dabei hatte ich mich sofort bereit erklärt, bei der Aufklärung mitzuwirken. Ich hatte auch gleich einen Hinweis gegeben, der mich sicher entlastet, weil er die Behauptungen des anderen Untergebrachten als Lüge entlarvt. Doch es tut sich nichts. Ich denke, die Aufklärung wird durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft verschleppt. Jedenfalls kümmert es niemanden, dass ich monatelang grundlos auf einer Sicherheitsstation festgehalten werde und ich mit meinen Entlassungsvorbereitungen nicht weiter machen konnte und kann.

Film „GEGEN DEN STROM – Abgetaucht in Venezuela“

Am Sonntag, 25.10. wollen wir, die Knast-Soligruppe Göttingen, jeweils um 14:00 und 18:00 Uhr den Film „Gegen den Strom“ im Saal der OM10 zeigen.

Trailer: https://vimeo.com/391244823

„GEGEN DEN STROM – Abgetaucht in Venezuela“ ist ein Film über ein Land im Umbruch, über die katastrophale Situation in Venezuela und über einen seit 25 Jahren im Untergrund lebenden mutmaßlichen „linksradikalen Terroristen“, seine Flucht vor den deutschen Ermittlungsbehörden und über ein transatlantisches Musikprojekt, bei dem es um zerplatzte wie aufrechterhaltende linke Utopien geht, um Widerstand, politisches Engagement, sowie die Kraft und den Glauben an eine gesellschaftliche Veränderbarkeit durch Musik.

Der Film wird im Saal der OM10 gezeigt, es gibt aber aufgrund der Hygienerichtlinien pro Vorstellung nur Platz für 20 Personen.
Der Einlass ist daher nur mit Tickets möglich, welche ihr ab dem 9.10. kostenlos im Roten Buchladen erhaltet.
Am Abend selbst freuen wir uns jedoch über einen Beitrag in unsere Soligruppenkasse am Saaleingang.

Wir freuen uns auf euch,
Knast-Soligruppe Göttingen