Krasser Eingriff: Besuche sind alternativlos verboten

M. schreibt:

„Ich kann es ja verstehen, dass Besuch so wie bisher zum Schutz erstmal verboten ist. Wieso bekommen wir aber keine anderen Möglichkeiten oder Erleichterungen? Wir hätten genug Möglichkeiten und Material, „spucksichere“ Besuchsplätze zu bauen. Zur Not Trennscheiben-Besuch… Wieso keine ausreichenden Skype-Plätze? Oder freies Telefonieren? Telio hat sich doch sowieso eine reiche Nase mit uns verdient. Wo ist da die Solidarität? Ach stimmt, wir sind ja nur der Abschaum der Nation… Ich glaube nicht, dass die JVA mal etwas für uns tut. (…) Ein Dialog mit uns Gefangenen findet nicht statt. Es ist eher das Gefühl, dass die hier getroffenen, willkürlichen Maßnahmen nur gegen uns sind, jedoch nichts für uns getan wird.“

Knastleitung nutzt Corona-Pandemie zur Abschaffung von Sichteinkauf

M. berichtet am 07.04.20:

„Wir dürfen nicht mehr zum Sichteinkauf, gibt nur noch Bestellscheine. Diesen Sinn verstehe ich gar nicht. Wenn man 2-3 zum Einkaufen mit Einkaufswagen schickt, ist doch der Abstand da. Wir bekommen nun unsere bestellten Waren im Aufenthaltsraum, dort sind dann auch 2 Rewe-Angestellte, 2 Gefangene und ein Bediensteter… Morgens und nachmittags wird auch mit 20 Mann in die Betriebe gerückt. In den engen Fluren achtet da auch keiner auf Abstand. Geschweige denn in den Betrieben selbst… Also warum dann keinen Sichteinkauf? Das macht Null Sinn! Wir Gefangene haben da eher eine andere Vermutung. Da der JVA der Sichteinkauf schon lange ein Dorn im Auge war und die den Tüteneinkauf wollte, ist das ja nun die perfekte Möglichkeit. Hat auf jeden Fall einen sehr faden Beigeschmack…“

Herr S. ist tot – vorzeitige Entlassung abgelehnt – ein Nachruf

Ein Mitgefangener aus der JVA Rosdorf berichtet:

In der Nacht vom 31.3. auf den 1.4. verstarb auf der Station C3 der Gefangene Herr S. Herr S. war sichtbar schwer gesundheitlich angeschlagen und mehrfach chronisch krank. Er klagte bereits in der Woche zuvor über unklare Schmerzen und war deswegen auch beim Amtsarzt vorstellig. Welche Maßnahmen getroffen wurden, ist unbekannt.

Bemerkenswert bleibt: Er war Geldstrafenabsitzer und hatte am Dienstag eine Skype-Anhörung zur vorzeitigen Entlassung. Abgelehnt.

Er berichtete noch davon: “ Die hat gesagt, sie haben ja nur noch 54 tage, die können sie absitzen.“ Das hat er leider nicht mehr geschafft. Diese Richterin sollte sich mal einige Fragen stellen… So ist das hier in Rosdorf, sehr unschön 🙁 Da helfen auch nicht die warmen Worte der Anstaltsleitung am Mittwochmittag inkl. Schweigeminute.

Nachruf auf Jan, der sich in der Nacht 31.12./01.01. in seiner Zelle erhängt hat

Ein Mitgefangener berichtet aus der JVA Rosdorf:

Was die Suizide betrifft, kann ich […] von einem Suizid berichten, der tatsächlich in einer nahegelegenen Zelle vom 31.12.2019 auf den 1.1.2020 durch Erhängen stattfand.

Der Mann wurde, obwohl nachweislich (wirklich nachweislich! Kein Gerücht o.ä.) depressiv, einige Tage vor Heiligabend 2019 auf eine Einzelzelle verlegt. Davor befand er sich in monatelang auf einer sog. „Kamerazelle“, da er als massiv suizidal, s.o., eingestuft wurde. Erstaunlich, nicht wahr? Genauso erstaunlich, dass es, meines Wissens nach, in KEINER der Medien mit auch nur einem Wort erwähnt wurde. Jan […] hieß der Junge, Zelle 33/4/JVA Rosdorf.

Dieser Bericht wurde zunächst an die Gefangenengewerkschaft GGBO verschickt, kam von dort zu uns. Hier gibt es die Pressemitteilung der GGBO zu dem Suizid.

Zeitschriftenblödsinn – Durch Kungelei wird Präzedenzfall vermieden

T. berichtet aus der Strafhaft:

Ich habe über Monate immer mal wieder Zeitschriften oder Teile davon zugesendet bekommen. Es gab nie eine Beanstandung. Denn dies ist im übrigen durch §65 NJVollzG und durch obergerichtliche Rechtsprechung zugelassen.
Eines Tages war dann der Beamte M. der Meinung, es handele sich um eine nicht genehmigte Paketsendung, somit illegal zugesandt, somit einzuziehen. Meine Frage, auf welcher gesetzlichen Grundlage seine Entscheidung beruhe, beantwortet der beante M. wie folgt: „Ich bin nicht verpflichtet, meine Entscheidung näher zu begründen, es steht ihnen frei, sich zu beschweren.“ Das tat ich dann auch.
Ich habe eine schriftliche Beschwerde bei der Anstaltsleitung mit Verweis auf die Gesetzes- und Rechtsprechungslage eingereicht. Mündliche Antwort: „Es ist kein Fehler feststellbar, der Beamte hat richtig gehandelt.“
Daraufhin habe ich dasselbe Beschwerdeschreiben mit neuer Adressierung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen geschickt – und einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §109 StVollzG gestellt. Acht Wochen später bekam ich Post vom Gericht: Die Anstalt teilt über das Gericht mit, sie habe den Vorgang nochmal geprüft und sei nun zu dem Schluss gekommen, die Zeitschriften seien nun doch aushändigungsfähig. Meine Beschwerde habe sich somit „erledigt“. Soweit so gut – für mich.

Allerdings: Zum einen existieren anscheinend informelle Absprachen zwischen der Anstalt und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Wenn man bedenkt, dass – wie in meinem Fall – Anstalt und Inhaftierter zwei Parteien im Rechtsstreit sind, ist es doch hochproblematisch, dass vom Landgericht nur eine einseitige Kommunikation zum weiteren Vorgehen stattfindet, also ohne Wissen und Mitsprache der anderen Partei (hier: ohne mich).
Vor allem bleibt in diesem Fall aber festzuhalten: Durch die Verhinderung eines Beschlusses zu meinem Antrag wurde ein Präzedenzfall vermieden! Einem Gefangenen wird die Erlaubnis, Zeitschriften zu beziehen, nun ein eingeräumt. Dem Rest wird es weiterhin erschwert und verweigert.

Willkür: „Bundesverfassungsgericht? Hier bestimmen wir.“

Hintergrund und kurzer Erfahrungsbericht von T.:

Drei Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Lockerung langjährig Inhaftierter im Rahmen von Ausführungen sind vom 17./18.09.2019: 2 BvR 650/19, 2 BvR 681/19, 2 BvR 1165/19. Vor dem Hintergrund des Resozialisierungsgrundrechts wird in diesen drei Fällen auf Gewährung von Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit entschieden.

Das BVG stellt ganz klar raus, dass Lockerungen ein zwingender Bestandteil der Resozialisierung sind. In der JVA wird das weiterhin großzügig ignoriert. So äußert sich die stellvertretende Anstaltsleitung Frau L. wiederholt während den halbjährlichen Vollzugsplankonferenzen: „Welche Entscheidungen des BVG hier gelten, bestimmen wir.“
Zur Resozialisierung heißt es: „Sie soll den Gefangenen zu einem verantwortungsvollen Leben nach der Haft befähigen…“.
Wie soll das gelingen, wenn elementarste Entscheidungen und auch Mitspracherechte verweigert werden? Sehr schwierig.

Strafe und Gefängnis – Buchvorstellung und Diskussion mit Autor*innen

Dienstag, 10. März 2020, 19 Uhr, OM10, Saal (Obere-Masch-Str. 10)

Veranstaltung mit Rehzi Malzahn (Herausgeber*in) und Freund*innen

Dass wir strafen, erscheint uns als Selbstverständlichkeit. Manchmal erfüllt sie uns mit Unbehagen, aber wirklich in Frage stellen wir sie nicht. Dabei ist Strafe ein wichtiger Bestandteil von Herrschaft. Sie bedarf Institutionen, die sie ermöglichen und ausführen (Gerichte, Gefängnisse, Polizei). Und sie setzt die herrschenden Regeln durch. Auch im Kleinen und im Privaten bedeutet zu strafen, dass sich ein Individuum über ein anderes erhebt, weil es sich (moralisch oder juristisch) „im Recht“ sieht – sei es in der Erziehung oder in Beziehungen. Während einzelne Institutionen für ihr Strafen doch hin und wieder kritisiert werden (wie z.B. Isolationshaft im Gefängnis oder Züchtigung in der Schule ), ist die Kritik der Strafe als solche eine Seltenheit.

Strafe ist eine Fortführung der Gewaltspirale und verhindert ein friedliches Miteinander. Dennoch kamen auch die Revolutionsversuche des 20. Jahrhunderts ohne Strafkritik aus. Vielmehr wurden oft sogar drakonische Strafsysteme praktiziert. So wenig damals versucht wurde, alternative Umgangsweisen zu finden, so wenig wird auch heute darüber diskutiert oder entsprechend ausprobiert.

In antikolonialen Befreiungskämpfen, indigenen Kulturen und marginalisierten Communities finden sich jedoch eine Menge Verfahren der „Unrechtsbewältigung“ oder „Gerechtigkeitsfindung“ jenseits von Strafe. Als „Restorative Justice“ und „Transformative Justice“ werden solche Alternativen heute auch in weißen Mehrheitsgesellschaften diskutiert. Dass sie jedoch nach wie vor nur marginal angewandt werden, liegt u.a. daran, dass diese Ansätze außerhalb der Fachkreise weitgehend unbekannt sind. Auch gibt es abgesehen von vereinzelten Initiativen noch keine gesellschaftliche Bewegung, die einen radikalen Bruch mit Strafe einfordert und praktiziert. Das gilt es zu ändern!

In ihrem Buch „Strafe und Gefängnis“ hat Rehzi Malzahn zahlreiche Autor*innen zusammengebracht, die dieses Feld aus verschiedenen theoretischen und praktischen Perspektiven diskutieren. So gibt es bspw. Beiträge zur Herstellung von „Delinquenzmilieus“, zur Spaltung politische vs. soziale Gefangene, zu intersektionalen Praxen der Strafkritik, zu Utopien einer Gesellschaft ohne Knäste – und nicht zuletzt auch Restorative/Transformative Justice.

SV = Staatlich Versterben

Heute am 03.01.20 gegen 05.00 Uhr hat wieder ein Sicherungsverwahrter die Freiheit nicht wiedererlangen dürfen. Er verstarb in der JVA Meppen. Von 10 SVlern, welche hier auf ihren Tod warten, verstarben somit innerhalb des letzten halben Jahres drei Menschen. In der gesamten Zeit seit der Eröffnung des „Todestraktes“ vor 1,5 Jahren wurde hingegen kein SVler lebend entlassen. Im Nds. SV VollzG § 2.1 heißt es, „dass die Vollstreckung der Unterbringung möglichst bald zur Bewährung ausgesetzt oder für erledigt erklärt werden kann.“ Was hingegen wirklich zelebriert wird, ist somit den Fakten zu entnehmen.
R.I.P. Roman

A.A.

Mein (Nicht-) Studium

T. berichtet aus der Strafhaft der JVA Rosdorf

Ich habe vor dem Knast studiert. Ich möchte dieses auch nach dem Knast fortsetzen. Ist dem Knast soweit bekannt. Ein Fernstudium ist in dieser Anstalt nicht möglich (→ Personalmangel). Daher habe ich beantragt, mich selbst mit Studieninhalten auseinanderzusetzen (→ §36 NJVollzG „Selbstbeschäftigung“).

Die Reaktionen der Anstalt waren breit gefächert. Ein Psychologe machte sich darüber lustig: „Da kann ja jeder Tittenhefte bestellen und das Arbeit nennen.“ Die Anstaltsleitung nannte es „Atypische Beschäftigung, sowas wolle man hier nicht.“ Die Sozialarbeiterin riet mir dazu, meine Freizeit zu nutzen.

Kurz und knapp: Ich habe mich ans Gericht gewandt. Mein Antrag liegt mittlerweile dem Landgericht zur Überprüfung vor. Ergebnis steht aus. In diesem Zusammenhang habe ich auch beantragt, dass ich mir von draußen Bücher zusenden lassen darf, um entsprechend auf der Höhe der Fachdiskussion zu bleiben. Wie ihr es schon erraten haben mögt – abgelehnt. Begründung: Ich dürfe mir nur Bücher zusenden lassen, die ich schon vor der Haft besessen habe. Neue Bücher seien ausgeschlossen.

Sollte ich neue Bücher haben wollen, müsse ich diese von meinem Knastgeld über Vermittlung der Anstalt kaufen. Ihr wisst selbst, was Fachbücher kosten… Die Rechtslage ist auch hier eindeutig (→ § 67 NJVollzG). Auch hier habe ich das Gericht bemüht. Auch hier exemplarisch das gleiche Ergebnis wie so oft. Kurz nachdem ich mich an das Gericht gewandt habe, kam ein Beamter auf mich zu… „Welche Bücher dürfen‘s denn sein… alles nur ein Missverständnis…“ Für mich ist das eine Frechheit an sich und eine Aushöhlung des Rechtsstaates. Wie kann es sein, dass das Gericht und die Anstalt sich ohne meine Beteiligung absprechen?

Natürlich streiten sie das ab, natürlich kann ich letztlich nicht beweisen… Sie behaupten einfach, sie haben meinen Fall nochmal geprüft… Das erklärt vielleicht auch, warum sich so viele hie drinnen aufgegeben haben. Man wird langsam aber sicher in dieser Mühle zerrieben. Ein Kampf gegen Windmühlen erscheint dagegen lachhaft.

Der Höhepunkt an der ganzen Studiummisere, Zitat Psychologe: „Es gibt keine Studie, die belegt, dass ihr Studium die Rückfallgefahr verringert.“ Gleichzeitig schreibt man in meinen halbjährlichen Vollzugsplan: „Herr … hat die rückfallpräventive Wirkung von Arbeit im Werkbetrieb noch nicht für sich erkannt…“ Selbstorganisiertes Studium, pfui pfui. Arbeit im Werkbetrieb, z.B. Angelschnur aufwickeln oder Unterlegscheiben sortieren → ganz wichtig für die Prävention…

Skandalöse therapeutische und medizinische Versorgung in der JVA Rosdorf

Redebeitrag bei der Kundgebung „Silvester zum Knast“ 2019

(Fotos: flickr.com/photos/linksuntengoe/albums/72157712447319242)

In einigen Briefen an die Knast-Soligruppe berichten Gefangene von mangelhaften Zuständen der therapeutischen und medizinischen Versorgung in der JVA Rosdorf. Zwei Punkte finden wir besonders skandalös.

Bei dem ersten Punkt geht es also um psychologisch-therapeutische Angebote. Wir hatten zunächst gefragt: Welche Möglichkeiten und Unterstützung gibt es für Gefangene, um eigene Einstellungen und Handlungsgründe kritisch hinterfragen zu können? Denn genau wie bei uns hier draußen gibt es auch im Knast Menschen, die auf ihre eigene z.B. bisher rassistische oder patriarchale Weltsicht aufmerksam werden. Und die daran etwas ändern wollen, die einen Weg jenseits von Ausgrenzung und Gewalt suchen. Doch das ist, so die Einschätzung von Gefangenen, kaum möglich und letztlich auch nicht vorgesehen. Denn im Knast geht es zunächst nur um Isolation und Strafe. Und später geht es um das daraus resultierende Problem der sogenannten Resozialisierung, das Sich-wieder-in-der-Gesellschaft-zurecht-finden-sollen.

Formal soll zwar der Knastaufenthalt auch der sogenannten Behandlung und Rückfallprävention dienen. Doch was darunter zu verstehen ist, wird einseitig von der Justiz und der Anstaltsleitung festgelegt. Besonders hilfreich für die Gefangenen soll demnach die ausbeuterische Zwangsarbeit sein, zu der sie genötigt werden. Und was passiert sonst, was wird tatsächlich angeboten? Die ernüchternde Einschätzung aus dem Knast: Bei fast allen passiert nichts! Ein Zitat: „Man sitzt einfach vom ersten bis zum letzten Tag ab, ohne dass sich irgendetwas ändert. Die Justiz kann und will nichts tun. Die sind froh über jeden, den sie nicht bemerken. Kein Personal, keine Mittel, gar nichts. Und ob hier jemand seine Einstellungen hinterfragt? Nein, denn es gibt gar keinen Grund dazu. Es gib weder individuelle Angebote, noch bringt es den meisten etwas.“

Ein Gefangener beschreibt, dass auf jeden Fall das System der Zeitstrafen abgeschafft werden muss. Stattdessen wären seiner Einschätzung nach z.B. nach Gewalthandlungen verbindliche, adäquate Therapien sinnvoll. Noch einmal ein Zitat: „Dazu müsste natürlich kräftig investiert werden – personell und materiell. Doch das ist nicht gewollt.“ So gibt es zwar spezielle Therapieeinrichtungen. Allerdings können Gefangene nicht darüber entscheiden, dass sie in eine solche Einrichtung oder Maßnahme gehen können. Und was gibt es sonst in der JVA Rosdorf? Hier sind – Stand März –1,5 Psycholog*innen für ca. 160 Gefangene zuständig. Diejenigen, die sich solche Gespräche wünschen, bekommen einen Termin vielleicht alle drei oder vier Wochen. Und bis ein Vollzugsplan erstellt ist – allein das kann ein halbes Jahr dauern – , passiert sowieso erst einmal nichts. Auch bei uns hier draußen ist es mit der Gesundheitsversorgung in Bereichen schlecht bestellt: Es gibt eine Zweiklassenmedizin, Personalmangel in den Krankenhäusern, teils lange Wartezeiten usw. Doch wir hier draußen können uns immerhin für eine intensive Psychotherapie entscheiden, können uns eine Therapeut*in aussuchen. Wir müssen feststellen: Es ist politischer Wille, dass in den Knästen die Versorgung mit individuellen bis hin zu therapeutische Angeboten mies und ungenügend ist. Dass dann regelmäßig noch nicht mal alle Stellen nicht besetzt sind, kommt noch obendrauf. Das Fazit eines Gefangenen: „Wer sich nicht darum prügelt, irgendwas zu tun, um sein Verhalten zu ändern, der sitzt ab bis zum letzten Tag. Ohne dass er auch nur eine Stunde über irgendwas reflektiert zu haben braucht.“

Der zweite skandalöse Punkt ist die strukturell mangelhafte medizinische Versorgung. Wer in der JVA Rosdorf zu Ärzt*innen will, muss das morgens um 6 Uhr beim Stationsbeamten melden. Um 8 Uhr werden dann die – oftmals 15-20 – Gefangenen in einen Warteraum gesperrt. Von da aus werden sie nach und nach aufgerufen. Eine freie Arztwahl gibt es nicht. Den direkten Zugang zu Fachärzt*innen gibt es nicht. Die Schweigepflicht der Knastärzt*innen ist eingeschränkt. Außerhalb der Sprechstundenzeiten an Werktagen gibt es zwar Bereitschaft von medizinischem Fachpersonal, aber die Qualifikationen sind unterschiedlich. Im Krankheitsfall, aber auch im Notfall im jeweiligen Trakt müssen so oftmals Stationsbeamt*innen mit Erste-Hilfe-Kurs-Kenntnissen entscheiden, wie weiter verfahren wird. Wenn Ärzt*innen in der JVA Rosdorf arbeiten, tun sie das als Knastärzt*innen. In der Regel sind die gleichen Ärzt*innen hier draußen noch anderweitig tätig, z.B. haben sie eine eigene Praxis. Immer wieder kommt es in der JVA Rosdorf vor, dass Ärzt*innen das ohnehin vorhandene Machtgefälle im Knast noch weiter ausnutzen. Einige stellen sich ihren Patienten noch nicht einmal namentlich vor und machen auch nicht transparent, was sie für eine Qualifikation haben.
Manchmal sei die Ansprache durch die Knastärzt*innen auch schlicht herablassend. Ein Gefangener schreibt uns: „Es bleibt fraglich, inwieweit das medizinische Personal sich dem Wohl des Patienten verpflichtet fühlt oder nur zum Durchsetzen der Belange der Justiz da ist.“
Um welche Belange der Justiz geht es? Ein Anliegen des Knastsystems ist es, die Kosten und damit auch den Personaleinsatz gering zu halten. So versuchen Knastärzte, notwendige medizinische Behandlungen soweit nach hinten zu schieben, bis eine Behandlung erst nach der Entlassung, also draußen, begonnen wird. Anfallende Zahnbehandlungen sind für dieses Hinauszögern ein Beispiel. Ein anderes Anliegen der Justiz ist z.B., dass die Gefangenen der Zwangsarbeit nachgehen, nicht zuletzt sind mit den Firmen Verträge geschlossen.

Wiederholt haben wir von Fällen gehört, dass die Knastärzt*innen kranke Patienten um jeden Preis zur Arbeit schicken wollen. Auf diese Weise kommt es offenbar immer wieder zu Fehl- oder auch Nicht-Behandlungen. Tatsächlich untersteht eine Ärzt*in der Zeit, in der sie als Knastärzt*in arbeitet, dem Justizministerium – und ist nicht wie üblich dem Gesundheitsministerium zugeordnet. Da es im Knast keine freie Arztwahl gibt, keine naheliegende Möglichkeit, eine medizinische Zweitmeinung einzuholen, und keine medizinische Beschwerdestelle, bleibt den Gefangenen nur die Möglichkeit, die JVA oder den Knastarzt anzuzeigen. Doch für eine Anzeige braucht es einen Straftatbestand, z.B. Körperverletzung im Amt. Solche juristische Verfahren ziehen sich bekanntlich in die Länge und bringen in der Regel nicht die gebotene akute gesundheitliche Klärung. Bis dahin werden vielleicht eben keine notwendigen Schmerzmittel verordnet. Oder es werden nur Schmerzmittel verordnet, obwohl eine Behandlung erforderlich wäre. Oder ein Nicht-Erscheinen bei der Arbeit aufgrund von Krankheit wird mit einer Woche Einschluss oder Fernsehentzug bestraft.

Eine wirksame Möglichkeit, die Macht der Knast-Ärzt*innen zu brechen, wäre eine freie Therapeut*innen- und freie Ärzt*innenwahl. Doch es wird noch lange dauern, dieses Recht allgemeingültig durchzusetzen. Bis dahin können Gefangene sich nur juristisch wehren und angemessene psychotherapeutische und medizinische Behandlung in jedem Einzelfall per Gerichtsbeschluss einfordern. Das ist sehr anstrengend und kostet Zeit. Vor allem aber ist der Beschwerdeweg über Gerichte voller Voraussetzungen. Menschen mit kaum oder keinen Deutschkenntnissen oder Schwierigkeiten im Umgang mit Behördenkram stehen dann nochmal schlechter da.

Knäste schädigen die physische und psychische Gesundheit der Gefangenen. Auch wenn es noch ein weiter Weg hin zu einer emanzipatorischen Gesellschaft ist und auch wenn Alternativen zu Strafe und Gefängnis als gesellschaftliche Aufgabe noch gefunden und erprobt werden müssen:

Das Knastsystem ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Knäste abschaffen!