Wir waren nachmittags am 31.12.21 mit über 50 Menschen zur jährlichen Soli-Kundgebung am Knast in Rosdorf. Von einer großen Wiese aus konnten wir die Rufe von Gefangenen zumindest aus den oberen Geschossen hören, wir selbst hatten für Musikwünsche und Redebeiträge eine Anlage dabei. Auf einem der Transparente stand unsere Postadresse mit dem Angebot, uns über den Knastalltag zu schreiben. Berichte von Gefangenen stellen wir gibt es weiterhin unter der Rubrik „Nach draußen!“. Zum Abschluss, kurz bevor es zu regnen anfing, konnten wir uns noch mit einem kleinen Feuerwerk verabschieden. Wir dokumentieren hier ein Grußwort von dem Gefangenen Thomas aus einem Knast in Süddeutschland und unseren eigenen Redebeitrag.
Alle Fotos sind von Links Unten Göttingen
Liebe Leute drinnen im Knast und hier draußen,
wir von der Knast-Soligruppe möchten uns den Hoffnungen und Wünschen von Thomas anschließen. Ja, die Idee einer Gesellschaft ohne Knäste ist gedacht – schon lange. Das ist auch unsere Forderung. Doch um welche Taten kann es gehen, wenn wir drinnen und draußen für eben diese Gesellschaft ohne Knäste kämpfen? Zum Glück gibt es auf diese Frage keine einfache Antwort. So kommen wir nicht umhin, dass wir uns austauschen müssen, um Ansätze ringen, uns solidarisch kritisieren, Widersprüche aushalten. Tatsächlich zielt die Frage nach der Überwindung des Knast-Systems grundsätzlich auf die Überwindung von Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung, Konkurrenz, Gewalt, Ausschluss oder anderen Prinzipien unserer herrschaftsförmigen Gesellschaft. Knäste sind die Krönung unseres strafenden, patriarchalen, rassistischen, kapitalistischen Staates. Die Straflogik wird uns von Kindheit an im Kleinen und Großen als alternativlos dargestellt. In der Familie, der Schule, der Ausbildung, dem Militär, den Religionsinstitutionen oder der Lohnarbeit gilt es zu gehorchen – sonst gibt es eine Strafe. Mit den Gesetzen des Staates wird bei Strafe abgesichert, dass ungleiche Verhältnisse bestehen bleiben. So sollen nicht alle Menschen nach ihren Bedürfnissen Zugriff auf unsere gesellschaftlichen Ressourcen haben. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, Lebensmittel und andere nützliche Dinge nehmen, sich überall hin frei bewegen, in eine Wohnung ziehen und sie behalten – alles ist bei Strafe verregelt. Erst recht den Staat aus einer emanzipatorischen Perspektive direkt anzugreifen.
Doch Gesetze sollen auch die persönliche Unversehrtheit schützen. Der Staat übt zwar reichlich Gewalt gegen seine Bürger*innen aus, untereinander ist sie aber verboten. Gewalt im sozialen Miteinander wird bestraft, zumindest im Prinzip. Denn in sozialen Kämpfen musste und muss weiter erstritten werden, dass der Schutz vor zwischenmenschlicher Gewalt tatsächlich für Alle gelten soll. Auch z.B. für Frauen und Kinder, für Lesben und Schwule, für Geflüchtete, für Transpersonen, für Schwarze… – für weniger privilegierte, diskriminierte Menschen. Beim Umgang mit zwischenmenschlicher Gewalt greift die Straflogik des Staates jedoch so oder so zu kurz. Denn durch Strafe und Knast wird ja direkt und mittelbar weitere Gewalt ausgeübt. Dabei verfehlen die staatlichen Ansätze oft, gewaltbetroffene Personen effektiv zu schützen und im sozialen Miteinander nachhaltig zu stärken. Ebenso verfehlen sie systematisch, gewaltausübenden Personen ernsthafte Angebote zur kritischen Auseinandersetzung mit ihren Gewalthandlungen zu machen oder Möglichkeiten zum Kennenlernen sozialer Alternativen und zu Veränderung zu bieten. Das Vorgehen im Rahmen der sogenannte Resozialisierung ist oft nur ein Feigenblatt in der Hand Justiz und Knastleitung.
Was können wir also tun, wenn wir für eine Gesellschaft ohne Knäste streiten? Ihr drinnen und wir hier draußen können auf die Missstände des Knast-Systems und Repression im Knast-Alltag aufmerksam machen. Da geht es um Öffentlichkeitsarbeit. Die Webseite unserer Knast-Soligruppe ist eine von diesen Möglichkeiten. Hier werden Erfahrungsberichte von euch Gefangenen festgehalten und können von allen gelesen werden. Es kann auch um Widerstand drinnen und draußen gehen. Kollektives Vorgehen gegen Gängelung und Schikane. Aktionen gegen das Justizsystem oder Firmen, die am Knastbetrieb oder Arbeitszwang von euch Gefangenen verdienen. Aktionen gegen jede Ausbeutung, Unterdrückung, gegen jeden Ausschluss und Krieg.
Nicht zuletzt geht es jedoch auch darum, soziale Alternativen zu Strafe und Knast zu entwickeln und zu erproben. Um günstige Bedingungen zu schaffen, kann die Befriedigung von Bedürfnissen und die Verteilung von Ressourcen jenseits von Profit- und Tauschlogik solidarisch organisiert werden. Grundsätzlich kommt es jedoch darauf an, dass ihr drinnen im Knast und wir hier draußen Wege finden, Vereinzelung zu überwinden und verbindliche, handlungsfähige Gemeinschaften aufzubauen und zu schützen. Nur wenn wir die Mitmenschen in unserem Umfeld, ihre Bedürfnisse, Grenzen und vielleicht auch ihre Verletzungen kennen, können wir uns unterstützen, kritisieren und miteinander lernen. Nur wenn wir in der Nachbarschaft oder bei der Arbeit eine solidarische Community sind, können wir Gewalthandlungen und Fehler einzelner Menschen als ein Problem der Gemeinschaft und Gesellschaft begreifen und annehmen. Zwischenmenschliche Gewalt ist immer gesellschaftlich vermittelt. Sie geschieht vor dem Hintergrund eigener biografischer Gewalterfahrungen und sozialer Isolation, sie geschieht in patriarchalen, rassistischen Verhältnissen. Um hier als Gemeinschaft Verantwortung übernehmen zu können, braucht es neue, verlässliche Umgangsformen und Strukturen jenseits des Staates. Zum Glück gibt es schon immer und überall auf der Welt Menschen, die eben dies tun. Die als soziale Gemeinschaft Verantwortung übernehmen, die sich dem Problem von Gewalthandlungen gemeinsam stellen. Die gewaltbetroffene Personen konsequent unterstützen, die gewaltausübenden Personen eine Veränderungsperspektive anbieten, die je nach Anlass die gesellschaftlichen Grundlagen für Gewalt aufspüren und diese angehen. Von diesen Ansätzen können wir lernen.
Wann und wo es mit dem Aufbau und der Verstetigung von solchen Alternativen losgehen kann und wer sich daran beteiligen kann? Diese Antwort ist nun einfach: Jetzt, hier und mit uns allen kann es losgehen, denn worauf sollen wir warten? Dieser Weg ist wohl sehr aufwändig und bestimmt anstrengend, denn er braucht Kontinuität und Geduld. Doch es gibt nicht weniger zu erreichen, als dass wir uns unser soziales, solidarisches Miteinander wieder aneignen und verteidigen, um schließlich die herrschaftsförmige Gesellschaft samt ihrer Ausschlüsse und Knäste zu überwinden. Ob das, wie Thomas in seinen Grußworten vermutet, 50 Jahre, 100 Jahre oder länger dauert, oder mit Entschlossenheit, Anstrengung und glücklichen Entscheidungen auch schneller gelingt, liegt an uns.
Strafe und Knast überflüssig machen!
Freiheit und Glück für uns alle!